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278 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
diese » [ d ]urch ihre Organisation vorzugsweise geeignet [ seien ], die Zwe-
cke der Vorerhebungen zu erreichen « 1182. Die Verständigung zwischen
dem Staatsanwalt und den Polizeibehörden sollte vor allem mündlich
erfolgen, der Staatsanwalt gab im Regelfall lediglich die Richtung vor,
in der die Vorerhebungen zu pflegen waren und konnte die Aufnahme
von Protokollen begehren.1183 Mit dem Antrag auf Eröffnung der Vorun-
tersuchung leitete der Staatsanwalt schließlich den Strafprozess ein 1184
und gab die Ermittlungen an den Untersuchungsrichter ab, der sie gem
§ 93 StPO 1873 unmittelbar und persönlich zu führen hatte. Er konnte
die Bezirksgerichte allerdings um die Vornahme einzelner gerichtlicher
Handlungen ersuchen.1185 Obligatorisch war eine Voruntersuchung nur
bei jenen Verbrechen, deren Aburteilung dem Geschworenengericht zu-
kam, sowie bei der Einleitung des Strafverfahrens gegen abwesende Per-
sonen. In allen anderen Fällen stand es im Ermessen des Staatsanwaltes,
ob er die Einleitung der Voruntersuchung beantragte oder sogleich die
Anklage erhob beziehungsweise den Strafantrag stellte.1186
Im Anklageprozess sollte das Hauptgewicht auf der öffentlichen,
mündlichen Hauptverhandlung liegen. Dort würden » die Parteien in
kontradiktorischer Diskussion ihre Beweise dem Richter unmittel-
bar vorführen, welcher letztere nötigenfalls zu ergänzen und auf ihrer
1182 JME vom 25. November 1873, Z. 14956, Abs III, abgedruckt bei Lißbauer Karl / Sucho-
mel Hugo, Die österreichischen Strafprozeßgesetze. Mit einer Übersicht über die
Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes 4 ( 1929 ) 1059 ff. Zur Jahrhundertwende
ordnete das Justizministerium erneut an, richterliche Beweisaufnahmen zu unter-
lassen, wenn der Sachverhalt bereits durch behördliche Anzeige oder behördliche
Erhebungen soweit aufgeklärt war, dass mit Einstellung oder Anklage vorgegangen
werden konnte, oder sich die notwendigen Erhebungen und Ergänzungen durch
die Sicherheitsbehörden vornehmen ließen, vgl Verordnung des Justizministeri-
ums vom 12. December 1900, betreffend den Gang des Strafvorverfahrens und die
Anwendung der Haftvorschriften, JMVBl 1900 / 45.
1183 § 70 Verordnung des Justizministers vom 19. November 1873, Nr. 152 R.G.B., womit
im Einvernehmen mit dem Minister des Innern eine Vollzugsvorschrift zur Straf-
proceß-Ordnung vom 23. Mai 1873, Nr. 119 R.G.B., erlassen wird, RGBl 1873 / 152.
1184 Die Voruntersuchung gehörte folglich zum Strafprozess, vgl Lohsing Ernst, Straf-
prozeßrecht 3 302.
1185 In der Praxis kam es wohl auch im Rahmen der Voruntersuchung vereinzelt zu Er-
hebungen durch die Sicherheitsbehörden, vgl die entsprechenden Hinweise bei
Zucker Alois, Einige Bemerkungen über die Reformbedürftigkeit der heutigen Vor-
untersuchung mit besonderer Berücksichtigung des geltenden österreichischen
Strafproceßrechtes, Der Gerichtssaal 1892, 436 ( 450 f ).
1186 Scharfe Kritik daran, dass die Einleitung einer Voruntersuchung in den weitaus
überwiegenden Fällen vom Ermessen des Staatsanwaltes abhing, äußerte Zucker
Alois, Der Gerichtssaal 1892, 442, 447 f.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik