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302 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
lung eines richterlichen Befehls wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich
war.1326 In Verwahrung Genommene mussten vernommen und entweder
mangels Verwahrungsgrund freigelassen oder binnen 48 Stunden dem
Untersuchungsrichter vorgefĂĽhrt werden. Dieser hatte die Beschuldig-
ten gem § 179 StPO 1873 längstens innerhalb von drei Tagen zu verneh-
men und danach sofort entweder ihre Freilassung oder aber die Verhän-
gung der ordentlichen Untersuchungshaft zu beschließen. Während die
Verwahrungshaft gesetzlich auf eine kurze Frist beschränkt war, konnte
die Untersuchungshaft während des ganzen auf ihre Verhängung fol-
genden Verfahrens hindurch fortdauern. Sie war nur aufzuheben, wenn
der Grund für ihre Verhängung entfiel.1327 In der Praxis bediente man
sich der Untersuchungshaft freilich auch als Instrument zur Erleichte-
rung der Ermittlungstätigkeit, um » den Beschuldigten [ … ] in die Gewalt
des Untersuchungsrichters zu bringen, um ihn als Object der Untersu-
chung ungestört behandeln [ … ] zu können. « 1328 Ein Geständnis konnte
die Wahrscheinlichkeit erhöhen, aus der vorläufigen Verwahrung frei
gelassen oder gegen Leistung des Gelöbnisses 1329 enthaftet zu werden.1330
Dennoch kam es nicht nur auf den Umstand an, dass gestanden wurde,
sondern auch auf die Glaubhaftigkeit der Beschuldigtenaussagen.1331 Der
46-jährige Bauer Josef H. legte zunächst ein umfassendes Geständnis ab,
das er jedoch in Teilen widerrief, als man die Voruntersuchung einlei-
tete und über ihn die Untersuchungshaft verhängte. Zur Begründung
des Widerrufs gab er an, dass er das Geständnis » nur in dem Bestreben
1326 In der Praxis bildete diese Ausnahme die Regel, vgl die Kritik bei Gleispach Wenzes-
laus, Strafverfahren 2 171.
1327 Die Betretung auf frischer Tat stellte keinen Grund für die Verhängung der Unter-
suchungshaft dar, vgl Lohsing Ernst, StrafprozeĂźrecht 3 204.
1328 Waser Joseph von, Zur Anwendung der StrafproceĂźordnung, Allgemeine Ă–sterrei-
chische Gerichts-Zeitung 1882, 289.
1329 Nach § 191 StPO 1873 konnte der Untersuchungsrichter aus der Haft entlassenen
Beschuldigten das Gelöbnis abfordern, sich bis zur rechtskräftigen Beendigung
des Strafverfahrens nicht ohne Genehmigung von ihrem Aufenthaltsort zu ent-
fernen, sich nicht verborgen zu halten oder zu versuchen, die Untersuchung zu
vereiteln. Ein Bruch dieses Gelöbnisses stellte einen Grund für die Verhängung
der Untersuchungshaft dar.
1330 Vgl Horn Fritz, JBl 1927, 259. Mitunter nahmen Beschuldigte bereits anlässlich po-
lizeilicher Vernehmungen Zugestandenes wieder zurück mit dem Verweis, sie hät-
ten die zur Last gelegten Handlungen nur zugegeben, » um in Freiheit gesetzt zu
werden «, OÖLA, BG / LG Linz Sch 399, 6 Vr 1803 / 32, Vernehmung des Beschuldigten
vom 29. November 1932. Siehe auch OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 366, 12 Vr 1523 / 30, Ver-
nehmung des Beschuldigten vom 29. Oktober 1930.
1331 Vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 275 f; Lohsing Ernst, Geständnis 66.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik