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308 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
terbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden, wenn
die Ereignisse, die es aufzuklären galt, besonders umfangreich waren
oder sich die Vernommenen nicht schuldig bekannten, obwohl sie durch
Zeuginnen und Zeugen oder Mitbeschuldigte belastet wurden. Am 23. Ok-
tober 1930 wurde der 25-jährige Gefreite Anton St. erstmalig beim Bezirks-
gericht Leonfelden vernommen: Man warf ihm unzĂĽchtige Handlungen
mit mehreren Burschen vor, darunter mindestens einem Jugendlichen.
Während die Mitbeschuldigten aussagten, Anton St. habe an ihnen » Un-
zuchtsakte « begangen, bekannte sich Anton St. der ihm zur Last gelegten
Handlungen nicht schuldig. Noch am selben Tag wurde er wegen Verab-
redungsgefahr in Verwahrungshaft genommen und am darauf folgen-
den Tag abermals verhört. Am 29. und 30. Oktober wurde Anton St. er-
neut einvernommen, auĂźerdem wurde ĂĽber ihn die Untersuchungshaft
verhängt. Zwei Wochen später legte Anton St. schließlich ein volles Ge-
ständnis ab, lediglich den Vorwurf, er habe sich die Burschen durch » Be-
täubungsmittel « gefügig gemacht, bestritt er weiterhin. Daraufhin wurde
Anton St. gegen Gelöbnis enthaftet.1371 Auch der Lehramtsanwärter Dr.
Franz G. gab – nachdem er zwischen 29. Jänner und 10. Februar 1934 ins-
gesamt sechs Mal durch den Untersuchungsrichter vernommen worden
war – zu, ihm anvertraute Burschen am Geschlechtsteil berührt zu haben.
Sein Antrag auf Enthaftung wurde allerdings abgelehnt.1372
4. Strafkarten, Leumundszeugnisse und Jugenderhebungen
Die Beweiskraft, die den Aussagen von Zeuginnen und Zeugen sowie von
Beschuldigten beigemessen wurde, stand in engem Zusammenhang mit
sie vorliegenden VerdachtsgrĂĽnde zur Kenntnis zu bringen und ihnen Gelegenheit
zur Rechtfertigung zu geben, vgl Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 238.
1371 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 366, 12 Vr 1576 / 1930, Vernehmung des Beschuldigten
vom 23. Oktober 1930. In weiterer Folge erhob St. Einspruch gegen die Anklage-
schrift, in der er darauf verwies, das Geständnis nur abgelegt zu haben, um ent-
haftet zu werden, vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 366, 12 Vr 1576 / 1930, Einspruch gegen
die Anklageschrift vom 27. Dezember 1930.
1372 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 423, 6 Vr 165 / 34, Vernehmung des Beschuldigten vom
29. Jänner 1934. Auch fortgesetzte Vernehmungen endeten freilich nicht immer
mit einem Geständnis. Der 53-jährige Schneidermeister Karl Sch., dem unzüchtige
Handlungen mit mindestens sechs verschiedenen Männern vorgeworfen wurden,
wurde insgesamt sechs Mal vernommen und den Mitbeschuldigten gegenĂĽber-
gestellt. Schließlich wurde er gegen Gelöbnis enthaftet, ein Geständnis hatte Karl
Sch. nicht abgelegt, vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 295, Vr IX 1098 / 22, Vernehmung des
Beschuldigten vom 12. Juli 1922.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik