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314 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
etwas von diesem Gedanken in sich auf. Mit der Erhebung der per-
sönlichen Verhältnisse der Jugendlichen konnte das Gericht gem § 33
Abs 2 JGG 1928 die Jugendämter sowie die Jugendgerichtshilfe betrauen.
Auskünfte der Schule hatten die Gerichte dagegen selbst einzuholen.1408
Während Strafkarten und Leumundsnoten in der Regel nur bei erwach-
senen Tatverdächtigen erhoben wurden, spielten die so genannten Ju-
genderhebungen nicht nur bei minderjährigen Beschuldigten eine
Rolle. Sie wurden mitunter auch dazu herangezogen, die Glaubwürdig-
keit der Aussagen jugendlicher Zeuginnen und Zeugen zu beurteilen.1409
Die Auskünfte über Jugendliche, die von den Jugendämtern im Rahmen
strafprozessualer Voruntersuchungen eingeholt wurden, betrafen » Er-
ziehung und Familienverhältnisse «, » Schulverhältnisse «, » Vermögens-
lage und Erwerbsverhältnisse «, » körperliche und geistige Reife «, aber
auch » Ursachen, die zur Begehung der strafbaren Handlung Anlaß ga-
ben « und » Vorschläge «.1410 In den Erhebungen finden sich keine Aussa-
gen dazu, dass die Beurteilung der letzten beiden Aspekte als proble-
matisch empfunden worden wäre: Immerhin entstanden sie zu einem
Zeitpunkt, da die Schuld der betreffenden Jugendlichen noch gar nicht
feststand, ja noch nicht einmal Anklage gegen sie erhoben worden war.
Lediglich die Generalvormundschaft Perg äußerte sich in ihren Erhe-
bungen über den siebzehnjährigen Karl E., die Vorschläge seien da-
von abhängig, » welche Strafe über den Jugendlichen verhängt wird « 1411.
Bei der Einschätzung, die das städtische Jugendamt Linz über den der
gleichgeschlechtlichen Unzucht und der Erpressung beschuldigten
Handelsschüler Alfred V. traf, handelte es sich dagegen kaum mehr um
eine bloße Erhebung der Lebensverhältnisse beziehungsweise der kör-
perlichen und geistigen Reife:
1408 § 5 Verordnung des Bundesministers für Justiz im Einvernehmen mit dem Bundes-
kanzler und den Bundesministern für soziale Verwaltung und für Unterricht vom
12. Dezember 1928 zur Durchführung des Jugendgerichtsgesetzes, BGBl 1928 / 339.
1409 So etwa, als die neunjährige Schülerin Stephanie Fr. anzeigte, sie sei von den Eheleu-
ten Franz und Elisabeth F. im Herbst 1935 auf einem Kartoffelacker geschlechtlich
missbraucht worden. Nicht nur die Schulbeschreibungen zeichneten ein überwie-
gend negatives Bild von Stephanie Fr., der diesbezüglich als Zeuge befragte Oberleh-
rer Josef B. beschrieb die Neunjährige als » erfahren und raffiniert « ( OÖLA, BG / LG
Linz Sch 486, 8c Vr 1723 / 36, Zeugenvernehmung vom 21. Dezember 1936 ). Das Verfah-
ren gegen Franz und Elisabeth F. wurde daraufhin gem § 90 StPO 1873 eingestellt.
1410 Siehe etwa OÖLA, BG / LG Linz Sch 343, 13 Vr 752 / 29, Fragebogen vom 29. Mai 1929.
1411 OÖLA, BG / LG Linz Sch 343, 13 Vr 752 / 29, Fragebogen vom 29. Mai 1929. Dass Karl
E. schuldig gesprochen würde, zog die Generalvormundschaft offenkundig nicht
in Zweifel.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik