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320 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
grenzen, wozu » der Nachweis der perversen Empfindung gegenüber dem
eigenen Geschlechte « 1440 zu erbringen war. Es musste auch festgestellt
werden, ob es sich bei dieser Empfindung um eine angeborene oder eine
erworbene Erscheinung handelte. Eine von Geburt an bestehende Nei-
gung legten jene Lebensgeschichten nahe, die von konträrsexuellen Emp-
findungen im Kindesalter berichten konnten, die sich etwa im Tragen
von Mädchenkleidern und dem Spielen mit Puppen manifestierten,1441
oder einer bereits früh zu Tage tretenden Vorliebe für weibliche Tätigkei-
ten.1442 Konträrsexuelle Neigungen ließen sich aber nicht immer an der-
lei Äußerlichkeiten festmachen. Der 68-jährige Schuhmachermeister Karl
M. äußerte schlicht, er habe » die Veranlagung immer gehabt «, er » habe
immer Neigung zu Männern gehabt. « 1443 Auch der 34-jährige Sicherheits-
wachebeamte Josef H. gab an, » seit seiner Kindheit an einem abnormen
Gefühl [ zu leiden ], das ihn zum männlichen Geschlecht ziehe. « 1444 Er-
gab die eigene Biographie keine kohärente Geschichte konträrsexuellen
Empfindens, so ließen sich gegenüber den psychiatrischen Sachverstän-
digen auch traumatische Erfahrungen als Ursache der inkriminierten
Handlungen anführen. Der 42-jährige Gemeindesekretär Maximilian Sch.
beteuerte, er habe nie gleichgeschlechtlich empfunden. Während seiner
Kriegsgefangenschaft in Italien sei er jedoch zu gleichgeschlechtlichem
Verkehr gezwungen worden, seither kämen ihm stets » die Bilder von dem
perversen Verkehr mit der Wachmannschaft unter « 1445.
An die autobiographischen Erzählungen schlossen sich die Ergeb-
nisse der körperlichen Untersuchung der Exploranden an.1446 Anders als
( vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 377, 6 Vr 1207 / 31, Psychiatrischer Befund mit Gutachten
vom 15. September 1931 ).
1440 Krafft-Ebing Richard von, Psychopathia 12 209.
1441 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 340, 12 Vr 606 / 29, Psychiatrischer Befund mit Gutachten
vom 8. Mai 1929.
1442 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 490, 6 E Vr 2218 / 36, Befund und Gutachten ( undatiert ). Vgl
dazu auch die bei Schlatter Christoph, Neigung 142 f, geschilderten Gutachten.
1443 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 332, 6 Vr 1619 / 28, Psychiatrischer Befund mit Gutachten
vom 28. November 1928.
1444 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 369, 6 Vr 162 / 31, Psychiatrischer Befund und Gutachten vom
31. März 1931.
1445 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 335, 6 Vr 635 / 28, Befund und Gutachten ( undatiert ). Auch
der 40-jährige Hilfsarbeiter Ignaz E. gab an, er habe seit 1918 » keine Zuneigung zu
Weibern mehr. «, OÖLA, BG / LG Linz Sch 396, 6 Vr 1444 / 32, Befund und Gutachten
vom 13. Oktober 1932.
1446 Die Gutachten entsprachen damit im Wesentlichen dem von Julius Raecke empfoh-
lenen Aufbau, wobei allerdings die Reihenfolge von Lebensgeschichte und körper-
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik