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Das Suchen und Finden von Beweisen
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
die gerichtsmedizinischen Befunde des 19. Jahrhunderts diente die Be-
schäftigung mit der Physis der Beschuldigten nicht dem Nachweis des
gleichgeschlechtlichen Verkehrs, sondern ebenfalls der Untersuchung,
ob sich eine » weibliche Seele « im männlichen Körper manifestiert ha-
be.1447 Obwohl diese Suche meist ergebnislos verlief, bildete das Forschen
nach femininen Zügen bei Männern einen fixen und wesentlichen Be-
standteil des psychiatrischen Befundes. Besonderer Stellenwert kam
hierbei der Größe der Genitalien und der Schambehaarung zu. Endete
die Schambehaarung in einer horizontalen Linie, galt dies als » weiblich «,
verlief sie in einem vertikalen Strang zum Nabel hin, wurde sie als » männ-
lich « eingestuft.1448 Die Befunde beschränkten sich allerdings nicht nur
auf die Genitalien. Erwähnt wurden etwa auch, » die weichen, weiblichen
ZĂĽge, der geringe Bartwuchs, die Stimme, die wie die eines mutierenden
Burschen klingt, die weichen, kleinen Hände, die er mit Weiberringen
schmückt, überhaupt die Neigung, weiblichen Schmuck zu tragen « 1449.
Den Abschluss der AusfĂĽhrungen stellte das eigentliche psychi-
atrische Gutachten dar, das die ärztliche Schlussfolgerung enthielt.
Entsprechend der gängigen gerichtspsychiatrischen Praxis wurde auf
ausdrĂĽckliche Nachweise der jeweils vertretenen psychiatrischen bezie-
hungsweise sexualwissenschaftlichen Ansichten zur Gänze verzichtet:
» Man hüte sich [ . ] im Gutachten vor allem unnötigen Beiwerk
wie Literaturangaben, Schulstreitereien, diagnostischen Spitz-
findigkeiten. Stets bedenke man, dass ein solches Gutachten
keine blosse wissenschaftliche Arbeit darstellt und sich nicht
auf ein theoretisches Für und Wider zu beschränken hat, son-
dern für einen ganz bestimmten praktischen Zweck, nämlich die
Urteilsfindung im speziellen Falle, dem Richter die geeigneten
Handhaben zu bieten hat. « 1450
lichem Untersuchungsbefund vertauscht wurde, vgl Raecke Julius, Kurzgefasstes
Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie fĂĽr Mediziner und Juristen ( 1919 ) 10 f.
1447 Vgl Schlatter Christoph, Neigung 144.
1448 » Der Körper ist auf Bauch und Brust ziemlich behaart, doch ist die Behaarung der
Schamgegend typisch weiblich «, lautete das Ergebnis einer Untersuchung ( OÖLA,
BG / LG Linz Sch 348, 12 Vr 1335 / 29, Befund und Gutachten vom 14. Oktober 1929 ).
Auch Hirschfeld nahm entsprechende Deutungen aufgrund der Schambehaarung
vor, siehe Hirschfeld Magnus, Homosexualität 224, 227. Vgl dazu auch Rydström Jens,
Sinners 280; Schlatter Christoph, Neigung 144; MĂĽller Klaus, Herzen 212.
1449 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 493, 6 Vr 92 / 37, Befund und Gutachten ( undatiert ).
1450 Raecke Julius, Lehrbuch 10. Auch in den von Schlatter untersuchten Gutachten feh-
len direkte Zitate und Verweise, vgl Schlatter Christoph, Neigung 139. Diese Praxis
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik