Page - 325 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Image of the Page - 325 -
Text of the Page - 325 -
325
Anklageschrift, Strafantrag und Einstellung der Vorerhebungen
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
nisse, die im vorangegangenen Ermittlungsverfahren als möglich ver-
handelt worden war. Was als beweisbar gelten konnte, wurde in der
Begründung der Anklage als jene historische Realität dargestellt, über
die in weiterer Folge verhandelt wurde.1476 In den meisten untersuch-
ten Unzuchtsfällen konnte sich der Staatsanwalt zur Begründung der
Anklage auf das Geständnis aller oder einiger Beschuldigter berufen.1477
Lag kein Geständnis vor, ließ sich eine Anklage durch ein vor der Poli-
zei abgelegtes und später widerrufenes Geständnis oder die Aussagen
von Zeuginnen und Zeugen begründen. Mitunter verwies die Anklage-
schrift auch nur pauschal darauf, dass der oder die Beschuldigte » durch
die beantragten Beweise überwiesen werden « 1478 würde. Die Anklage-
schrift musste in so vielen Ausfertigungen überreicht werden, dass
sämtlichen Beschuldigten ein Exemplar zugestellt und eines beim Un-
tersuchungsrichter zurückbehalten werden konnte. Nicht nur hinsicht-
lich der inkriminierten Handlungen, auch in anderer Richtung konnte
die Anklage folglich Engführungen nach sich ziehen: Einzelne Perso-
nen blieben Teil des Strafverfahrens oder schieden aus diesem aus, je
nachdem, ob sich die Anklageschrift auf sie erstreckte oder nicht. Im
vereinfachten Verfahren vor dem Einzelrichter hatte der Staatsanwalt
an Stelle der Anklageschrift den Strafantrag einzubringen. Der Antrag
diente als vereinfachte Anklageschrift, enthielt das Begehren nach ei-
ner Hauptverhandlung im vereinfachten Verfahren vor dem Einzelrich-
ter und die Behauptung, dass die dafür notwendigen Voraussetzungen
gegeben waren.1479
Kam der Staatsanwalt dagegen bereits aufgrund der Vorerhebun-
gen zu dem Schluss, dass nicht genügend Gründe vorlagen, um gegen
eine bestimmte Person das Strafverfahren zu veranlassen, so hatte er
vom 15. Mai 1936: » Die Schuld der Kr. im Sinne der Anklage wird aber durch die
Zeugenaussagen erwiesen werden, wobei auch die gleichgearteten Vorstraftaten
ein hinweisendes Indiz abgeben. «
1476 Naucke bezeichnet die Anklageschrift als » juristisches Stilmittel ersten Ranges «.
» Wahrheit « und » Tatsachen «, die sich in ihr darstellten, orientierten sich stets an
ihrer Bedeutung für das materielle Recht, vgl Naucke Wolfgang in Schönert Jörg ( hg ),
Kriminalität 69.
1477 So führte die Anklageschrift gegen den Lehrer Johann P. und zwei weitere Be-
schuldigte aus, dass Johann P. zwar die ihm vorgeworfenen Handlungen in Ab-
rede stellte, jedoch » die Mitbeschuldigten diesbzgl. vollkommen geständig sind «,
OÖLA, BG / LG Linz Sch 339, 8 Vr 449 / 29.
1478 OÖLA, BG / LG Linz Sch 493, 6 Vr 92 / 37, Anklageschrift vom 14. Jänner 1937.
1479 Vgl Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 334.
back to the
book Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik