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326 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
die Anzeige gem § 90 StPO 1873 zurückzulegen.1480 Wenn die Vorerhe-
bungen durch ein Gericht gepflogen worden waren, musste der Staats-
anwalt diesem die Akten mit dem Hinweis ĂĽbersenden, dass er keinen
Grund zu einer weiteren Verfolgung finde. Das Gericht hatte darauf-
hin die Vorerhebungen einzustellen. Verhaftete Beschuldigte waren so-
fort frei zu lassen.1481 Wenn eine Voruntersuchung stattgefunden hatte,
konnte der Staatsanwalt sowohl vor als auch nach deren Schluss die
Einstellung beantragen beziehungsweise die Erklärung abgeben, dass
er keinen Grund zur weiteren Verfolgung finde ( § 109 beziehungsweise
§ 112 StPO 1873 ). Der Untersuchungsrichter musste daraufhin die Vor-
untersuchung einstellen. Das Klagerecht war damit erloschen und das
Prozessverhältnis aufgelöst. Lediglich bei 64 Beschuldigten entschied
der Staatsanwalt, die Vorerhebungen oder die Voruntersuchung wegen
gleichgeschlechtlicher Unzucht einzustellen.1482 In einigen dieser Fälle
war die Strafverfolgung durch ein GerĂĽcht in Gang gesetzt worden, das
sich nicht erhärtete,1483 oder eine anonyme Anzeige, deren Urheberin
oder Urheber sich nicht ermitteln ließ.1484 In anderen Fällen erschien
die weitere Verfolgung aussichtslos, weil die Beschuldigten wegen geis-
tiger Erkrankung voraussichtlich nicht verurteilt werden konnten,1485
unbekannten Aufenthalts 1486, zum Tatzeitpunkt noch nicht strafmĂĽn-
dig 1487 oder reif 1488 genug gewesen waren, das » Unrechtmäßige « der Tat
1480 Die GrĂĽnde fĂĽr die ZurĂĽcklegung waren in das ĂĽber jeden Straffall zu fĂĽhrende Ta-
gebuch einzutragen, siehe § 6 der Verordnung des Justizministers vom 5. Mai 1897,
womit ergänzende Bestimmungen für die Behandlung der Geschäfte bei den
Staatsanwaltschaften getroffen werden, RGBl 1897, 114.
1481 Vgl Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 214. Grundsätzlich war die » Einstellung «
der Vorerhebungen lediglich ein Akt der Geschäftsordnung und erwuchs nicht in
Rechtskraft. Waren allerdings » Verdächtige « vom Gericht vorgeladen, vernommen
oder in Haft genommen worden, erlosch mit der Einstellung das Klagerecht des
Staatsanwaltes.
1482 Zur Verteilung der Einstellungen des Verfahrens nach Jahren siehe Anhang 4.
1483 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 312, Vr IX 1013 / 25; OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 383, 8b Vr
184 / 32, Erklärung vom 13. Februar 1932.
1484 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 368, 9 Vr 1750 / 30, Erklärung vom 15. Dezember 1930;
OÖLA, BG / LG Linz Sch 370, 8a Vr 193 / 31, Erklärung vom 20. Februar 1930.
1485 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 295, Vr IX 1098 / 22, Erklärung vom 2. September 1922;
OÖLA, BG / LG Linz Sch 490, 8d Vr 2139 / 36, Erklärung vom 22. Dezember 1936.
1486 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 295, Vr IX 1098 / 22, Erklärung vom 2. September 1922.
1487 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 396, 9 Vr 1446 / 32, Erklärung vom 5. November 1932.
1488 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 340, 9 Vr 633 / 29, Erklärung vom 6. Juni 1929. Gleichzeitig
mit der ZurĂĽcklegung der Anzeige wurde beantragt, den Akt dem Landesjugend-
amt zu ĂĽbermitteln, damit dieses allenfalls weitere Vorkehrungen treffen konnte.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik