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334 VIII. Hauptverhandlung und Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Hauptverhandlung für Angeklagte nicht bloß ein Recht, sondern eine
Pflicht, der sie während der gesamten Dauer des Verfahrens ununter-
brochen zu entsprechen hatten.1505
Die Volksöffentlichkeit des Strafprozesses verlangte, dass sowohl
die Feststellung der prozessualen Streitpunkte, als auch die Beweis-
führung und die Urteilsfällung öffentlich geschehen sollten. Sie war
ein zentrales Anliegen freiheitlicher Reformbestrebungen gewesen und
verband mit dem Anliegen der Kontrolle der Justiz durch Bürgerinnen
und Bürger die Hoffnung, dass durch die Öffentlichkeit der Gerichts-
verfahren » das Volk rechtskundig, [ und ] das Recht volkstümlich « 1506
würde. Julius Vargha, Professor für Strafrecht an der Universität Graz,
nahm weiter an, das Wissen um die Volksöffentlichkeit der Prozesse
werde alle an einem Strafverfahren beteiligten Personen dazu bewegen,
» sich größerer Wahrheitsliebe [ zu ] befleißen. « 1507 Der Kriminalist Gross
bezweifelte dagegen, dass die Volksöffentlichkeit geeignet sei, die mit
ihr verbundenen Erwartungen zu erfüllen. Erst recht sei es nicht wün-
schenswert, dass » [ d ]as Publikum unserer Gerichtssäle als Kontrolor-
gan [ sic ! ] unserer Richter « 1508 fungiere. Auch sei zu befürchten, » dass
gerade die allergefährlichsten Dinge vor Leuten enthüllt und erörtert
werden, denen sie sorgfältigst verborgen werden sollten. « 1509 Anlass
zur Sorge gab freilich nicht nur der Umstand, dass sich die Bevölke-
rung in öffentlichen Verfahren über die Begehung strafbarer Handlun-
gen und geschicktes Auftreten vor Gericht unterrichten könnte: Allzu
leicht könne der Strafprozess durch ein stärker an Sensationen und
Skandalen, am Sehen und Gesehen werden im Verhandlungssaal, als
an dem » Walten des Rechts « interessiertes Publikum zum » theatrali-
schen Schauspiel « verkommen.1510 Diese Befürchtung wurde auch von
den Gerichten selbst geäußert. Der Wiener Strafrechtsprofessor Otto
ber 1936. Anders im Fall des 69-jährigen Tagelöhners Georg M.: Zur Hauptver-
handlung im Juni 1936 war Georg M. nicht erschienen, dass die Ladung zugestellt
worden war, konnte nicht nachgewiesen werden, das Verfahren gegen Georg M.
wurde daher gem § 57 StPO 1873 ausgeschieden, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 478, 6
E Vr 980 / 36, Hauptverhandlung vom 30. Juni 1936.
1505 Abwesenheit des Angeklagten begründete gem § 281 Z 3 StPO 1873 Nichtigkeit.
1506 Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 51 ( Hervorhebungen im Original ).
1507 Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 51.
1508 Gross Hans, Gesammelte Kriminalistische Aufsätze I ( 1902 ) 309.
1509 Gross Hans, Aufsätze I 311.
1510 Vgl Frydmann Marcell, Kartenausgaben zu öffentlichen Verhandlungen der Straf-
gerichte, JBl 1878, 161.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik