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Darstellungen vor Gericht
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
nicht nur von dem Auftreten der Berufsrichter, sondern auch von dem
Gebaren der Laienrichterinnen und Laienrichter ab. Die gesellschaftli-
chen und politischen Veränderungen der Zwischenkriegszeit verlang-
ten somit, diese Auffassung den ĂĽbrigen bei Verhandlungen mitwirken-
den Organen entsprechend zur Kenntnis zu bringen. Dazu gehörten vor
allem die Schöffinnen und Schöffen sowie die Geschworenen, die als
Laienrichterinnen und -richter kein Amtskleid trugen 1535.
Das Amtskleid zog eine deutlich wahrnehmbare Trennlinie zwi-
schen Rechtskundigen 1536 und juristischen Laien. Ebenso wie die ar-
chitektonische Gestaltung der Verhandlungssäle wies es den Strafver-
folgungsbehörden, den Verteidigern und Angeklagten und auch dem
Publikum einen bestimmten Platz zu. Gleichzeitig verlieh der schwarze
Talar der Richter und Staatsanwälte den Prozesshandlungen sakralen
Charakter.1537 Rituelle Handlungen, wie sie etwa bei der Beeidigung von
Zeuginnen und Zeugen oder Sachverständigen gesetzlich vorgesehen
waren, verstärkten diesen Eindruck: Die Eidesformel war vorgeschrie-
ben, sie wurde vom Richter vorgesprochen und musste von den Schwö-
renden Wort fĂĽr Wort nachgesprochen werden.1538 Personen, die der
christlichen Religion angehörten oder konfessionslos waren, hatten
» den Daumen und die zwei ersten Finger der rechten Hand emporzuhe-
ben und den Eid vor einem Crucifixe und zwei brennenden Kerzen ab-
zulegen. « 1539 Bei Protestanten helvetischer Konfession wurde auf Kruzi-
fix und Kerzen verzichtet,1540 die Gerichtspraxis dehnte diese Ausnahme
vielfach auch auf Konfessionslose aus.1541 Angehörige des mosaischen
1535 Vgl Lohsing Ernst, StrafprozeĂźrecht 3 118 Fn 32.
1536 Die Verteidiger waren allerdings nach österreichischem Recht nicht zum Tragen
eines Amtskleides verpflichtet, vielmehr war ihnen dies erst seit den Anfangsjah-
ren des 20. Jahrhunderts gestattet. Siehe dazu unten.
1537 Siehe auch Wulf Christoph in Schwarte Ludger / Wulf Christoph ( hg ), Körper 32. Gep-
hart verweist auf die Ähnlichkeit der richterlichen Robe mit dem Gewand des
Priesters, vgl Gephart Werner, Rituale der Ritualbeobachtung. Von Émile Durk-
heims » effervescence « über Marcel Mauss’ » fait total « zu Pierre Bordieus » acte
d’institution «, Forum Ritualdynamik 2004 / 6, 20, < https: / /journals.ub.uni-heidel
berg.de / index.php / ritualdynamik / article / view / 347 / 331 > [ 10. Februar 2015 ].
1538 Hierbei handelte es sich um einen so genannten » gestabten Eid «, vgl Vargha Julius,
Strafprozessrecht 2 214.
1539 Gesetz vom 3. Mai 1868, zur Regelung des Verfahrens bei den Eidesablegungen vor
Gericht, RGBl 1868 / 33.
1540 Vgl Hofdekret vom 21. Dezember 1832, JGS 2582.
1541 Dagegen BrĂĽller Arthur, Die Beeidigung Konfessionsloser in Ă–sterreich, JBl 1931,
113 und 137: Eine Beeidigung Konfessionsloser sei nach österreichischem Recht
unzulässig.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik