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348 VIII. Hauptverhandlung und Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
sagen der Angeklagten wurden bestimmte der Logik des Strafverfahrens
entspringende Erwartungshaltungen herangetragen: Angeklagte sollten
sich nicht nur einsichtig zeigen, sondern dieser Einsicht im Rahmen
der mĂĽndlichen Hauptverhandlung auch sprachlichen Ausdruck verlei-
hen. Wenn sie aussagten, die ihnen zur Last gelegte Handlung nicht be-
gangen zu haben, hatten sie dies nachvollziehbar zu schildern.1587 Die
geforderte » Einsicht « in ihr » Fehlverhalten « konnten Angeklagte artiku-
lieren, indem sie aussagten, ihre Tat zu bereuen.1588 Jugendliche Ange-
klagte wurden daraufhin befragt, ob ihnen bekannt gewesen war, dass
ihre Handlungen strafrechtlich verboten waren.1589 Mitunter gaben auch
erwachsene Angeklagte an, das » Unrecht « 1590 oder das » Strafbare « 1591 ih-
rer Handlungen nun erst zu erkennen und bekräftigten ein Schuldeinge-
ständnis durch das Versprechen, » nie mehr etwas derartiges zu tun. « 1592
Die Volksöffentlichkeit, die Erwartungshaltungen der Richter und
des Publikums sowie die Einbettung in einen institutionellen und ri-
tuellen Rahmen schränkten die Redemöglichkeiten der Angeklagten
von vornherein ein.1593 Die räumliche Szenerie des Gerichts 1594 verlangte
1587 Dazu auch Leodolter Ruth, Das Sprachverhalten von Angeklagten bei Gericht. An-
sätze zu einer soziolinguistischen Theorie der Verbalisierung ( 1975 ) 231.
1588 Vgl statt vieler OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 340, 6 Vr 634 / 29, Hauptverhandlung vom
15. Juni 1929.
1589 Die Antworten zeigen ein sehr unterschiedliches Bild sexueller Aufklärung. Wäh-
rend der sechzehnjährige Knecht Johann S. aussagte, er » habe gewußt daß [ er ] da-
mit etwas Schlechtes tue «, OÖLA, BG / LG Linz Sch 479, 9 Vr 1066 / 36, Hauptverhand-
lung vom 26. September 1936, gab der siebzehnjährige Kellnerlehrling Johann M. an,
er habe nicht nur nicht gewusst, » worin der normale Geschlechtsverkehr besteht «,
sondern es sei ihm auch nicht bekannt gewesen, » daß das, was D. tut, nicht sein soll «,
OÖLA, BG / LG Linz Sch 350, 13 Vr 1639 / 29, Hauptverhandlung vom 25. Jänner 1930.
1590 Vgl OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 371, 6 Vr 336 / 31, Hauptverhandlung vom 29. Mai 1931.
1591 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 384, 9 Vr 211 / 32, Hauptverhandlung vom 5. März 1932.
1592 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 360, 12 Vr 768 / 30, Hauptverhandlung vom 15. Juli 1930. Siehe
auch OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 371, 6 Vr 336 / 31, Hauptverhandlung vom 29. Mai 1931;
OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 462, 6 Vr 1954 / 35, Hauptverhandlung vom 23. April 1935.
1593 Vgl Wulf Christoph in Schwarte Ludger / Wulf Christoph ( hg ), Körper 36. Eine anschau-
liche Schilderung der Umstände, die auf die Aussage von Angeklagten einwirken,
findet sich bereits bei Glaser Julius, Gesammelte kleinere Schriften ĂĽber Strafrecht,
Civil- und Strafprocessrecht I ( 1868 ) 256.
1594 Die räumliche Gestaltung des Verhandlungssaales bedingt auch gewisse Erwar-
tungen an die Lautstärke und Artikulation von Aussagen, vgl Legnaro Aldo / Aen-
genheister Astrid, AuffĂĽhrung 23. Die Darstellungen bei Laage vermitteln einen Ein-
druck davon, in welcher Entfernung sich Angeklagte, Richter, Schöffinnen und
Schöffen sowie Zuschauerinnen und Zuschauer jeweils zueinander befanden, vgl
Laage Gerhart, Gerichtsbauten – Bollwerke der Einschüchterung, in Wassermann
Rudolf ( hg ), Menschen vor Gericht ( 1979 ) 169 ( 175 ff ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik