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352 VIII. Hauptverhandlung und Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Vorsitzenden, des Staatsanwalts oder Verteidigers waren nur niederzu-
schreiben, soweit sie zum Verständnis der Antworten notwendig waren.
Die Antworten der Angeklagten sowie die Aussagen von Zeuginnen oder
Zeugen und Sachverständigen wiederum wurden nur dann ins Protokoll
aufgenommen, wenn sie von den bereits in den Akten enthaltenen Aus-
sagen abwichen oder diese ergänzten; wie auch im Vorverfahren wurde
hierbei keineswegs wörtlich protokolliert.1617 Diese Art der Protokollie-
rung verlangte » genaueste Kenntnis der Akten des Vorverfahrens « 1618 und
war schon allein dadurch nicht unproblematisch: Bereits drei Jahre nach
Inkrafttreten der StrafprozeĂźordnung 1873 wies Waser darauf hin, dass
» durch diese processuale Behandlung des Angeklagten [ … ] die unmit-
telbare Beweisführung vor dem erkennenden Richter [ . ] zur Bestätigung
oder Berichtigung der mittelbaren herabgedrückt « 1619 würde.
Im Anschluss an die Vernehmung der Angeklagten setzte das eigent-
liche Beweisverfahren ein. Die Aufnahme der Beweise erfolgte in der
vom Vorsitzenden bestimmten Reihenfolge. Auch hier war die in § 252
StPO 1873 in sehr weitreichendem Umfang eingeräumte Möglichkeit,
Protokolle ĂĽber die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeuginnen
und Zeugen zu verlesen, nur schwer mit den Prinzipien der MĂĽndlich-
keit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung in Einklang zu brin-
gen.1620 Außerdem war trotz der Prinzipien des beiderseitigen Gehörs
und der Waffengleichheit die Staatsanwaltschaft gegenĂĽber der Ver-
teidigung klar bevorzugt. Zwar hatten sowohl der Staatsanwalt als An-
kläger als auch die Angeklagten beziehungsweise ihre Verteidiger das
Recht, während der Hauptverhandlung ( neue ) Beweisanträge zu stellen,
tatsächlich zeigten sich die Gerichte jedoch den Anträgen der Verteidi-
gung gegenüber » aus sogenannten praktischen Rücksichten, in sonder-
heit [ sic ! ] aus denen der Ersparnis « 1621 zurückhaltend. Während Beweis-
anträgen des Staatsanwaltes stets stattgegeben wurde, ließ das Gericht
kollierung im Strafverfahren und suchten, die häufigsten Gebrechen abzustellen,
siehe den in Gerichtshalle 1906, 486 abgedruckten Erlass des Justizministeriums
vom 25. April 1906 sowie den Erlaß vom 27. Juni 1928 zur Abstellung häufig wieder-
kehrender Formverstöße, JABl 1928, 9.
1617 Auf Anordnung des Vorsitzenden oder Verlangen einer Partei war eine wörtliche
Feststellung des Gesagten gem § 271 StPO 1873 allerdings möglich.
1618 Seefeld Carl, Protokoll 4 27.
1619 Waser Joseph von, Allgemeine Ă–sterreichische Gerichts-Zeitung 1876, 62.
1620 Vgl etwa die Kritik von Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 305; ähnlich Gernerth Franz von,
Aus der Strafgerichtspraxis, Allgemeine Ă–sterreichische Gerichts-Zeitung 1880, 117.
1621 Vgl Vargha Julius, Strafprozessrecht 2 142.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik