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360 VIII. Hauptverhandlung und Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Gelegenheit « 1661 oder » wirtschaftliche Notlage « 1662. Die am weitaus häu-
figsten genannten Strafmilderungsgründe stellten allerdings ein vor
Gericht abgelegtes Geständnis 1663 sowie ein strafrechtlich unbeschol-
tener Lebenswandel dar.1664 Während das österreichische Strafrecht
keine speziell auf die Begehung durch Jugendliche zugeschnittenen er-
schwerenden Umstände bei der Strafzumessung kannte,1665 wurde die
Verführung eines Jugendlichen zur Tat und die Begehung unzüchtiger
Handlungen mit Minderjährigen bei Erwachsenen jeweils als Erschwe-
rungsumstand angeführt. Ferner galt es als straferschwerend, wenn die
unzüchtigen Handlungen wiederholt ausgeführt worden waren; neben
dem Verbrechen der Unzucht noch andere Verbrechen oder Vergehen
begangen worden waren; die Verurteilten Vorstrafen aufwiesen oder
rückfällig waren; oder die unzüchtigen Handlungen über einen länge-
ren Zeitraum hinweg oder um eines materiellen Vorteiles willen be-
gangen worden waren. Ähnliche Umstände konnten sich außerdem so-
wohl mildernd als auch erschwerend auswirken.1666 So bezog sich der
Strafmilderungsgrund » wirtschaftliche Notlage « in einigen Fällen auf
mit den unzüchtigen Handlungen zusammentreffende, in der Regel als
geringfügig eingestufte Eigentumsdelikte.1667 Eine als mildernder Um-
stand genannte finanzielle Notlage konnte aber auch bedeuten, dass
zumindest ein Beteiligter nur gegen Entgelt zu gleichgeschlechtlicher
Unzucht bereit gewesen war.1668 Im Fall des achtzehnjährigen Knechtes
1661 Etwa OÖLA, BG / LG Linz Sch 304, Vr IX 347 / 24, Urteil vom 26. März 1924.
1662 OÖLA, BG / LG Linz Sch 490, 9 Vr 2219 / 36, Urteil vom 19. Dezember 1936.
1663 Da für die Angeklagten keine Pflicht zur Aussage bestand, war die Wertung eines Ge-
ständnisses als strafmildernd weitreichender Kritik ausgesetzt, vgl Wimmer August,
Gestehen und Leugnen im Strafprozeß. Seine Bedeutung für Strafzumessung und
Anrechnung der Untersuchungshaft, ZStW 1930, 538 mit zahlreichen Nachweisen.
1664 Vgl Korom Philipp / Fleck Christian, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsy-
chologie 2012, 769, die einen Einfluss von ( einschlägigen ) Vorstrafen auf das ver-
hängte Strafmaß feststellen.
1665 Die in den §§ 43 ff und 263 f StG 1852 angeführten erschwerenden und mildernden
Umstände stellten lediglich eine beispielsweise Aufzählung dar, vgl Rittler Theodor,
Lehrbuch des österreichischen Strafrechts. Allgemeiner Teil I ( 1933 ) 245; Finger Au-
gust, Strafrecht I 3 820. Auch die Rechtspraxis hatte keine Erschwernisgründe aus-
gebildet, die sich auf die Begehung von Straftaten durch Jugendliche bezogen.
1666 Vgl auch die Feststellung bei Korom Philipp / Fleck Christian, Kölner Zeitschrift für
Soziologie und Sozialpsychologie 2012, 772.
1667 Etwa OÖLA, BG / LG Linz Sch 323, Vr VI 1325 / 27, Urteil vom 27. Jänner 1928.
1668 Während der Umstand, dass der achtzehnjährige Hilfsarbeiter Walter S. sich nur
gegen Entgelt » zu einem homosexuellen Verkehr hergab « in der Urteilsbegrün-
dung als » verwerflich « gewertet wurde, verwiesen die angeführten Milderungs-
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik