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Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Franz A., der sich Geld » für eine Unterhaltung « erhoffte, wertete das
Gericht es dagegen als erschwerenden Umstand, » dass der Angeklagte
materieller Vorteile wegen ohne geschlechtliche Not sich von W. miss-
brauchen liess. « 1669
Insgesamt blieben die Strafen, die vom Landesgericht Linz wegen
gleichgeschlechtlicher Unzucht verhängt wurden, weit unter dem vor-
gesehenen Strafrahmen von ein bis fĂĽnf Jahren schwerem Kerker. Meist
wurde vom außerordentlichen Strafmilderungsrecht nach § 54 StG 1852
Gebrauch gemacht, das eine VerkĂĽrzung der gesetzlich vorgesehenen
Strafdauer auf unter sechs Monate erlaubte, wenn mehrere Milde-
rungsgründe vorlagen, die » die Besserung des Verbrechers erwarten
lassen. « 1670 Die durchschnittliche Dauer der verhängten Strafen betrug
etwa drei Monate in Verfahren vor dem Einzelrichter und vier Monate
in Verfahren vor dem Gerichtshof erster Instanz.1671 Von der durch die
Strafgesetznovelle 1918 1672 eingeräumten Möglichkeit, an Stelle einer
Kerkerstrafe auf die Strafe des strengen Arrestes zu erkennen, wenn der
Täter oder die Täterin zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt war,
mildernde Umstände vorlagen, die einem Schuldausschließungs- oder
Rechtfertigungsgrund nahekamen oder die Tat nur auf » Übermut, Un-
besonnenheit oder besonders verlockende Gelegenheit « ( Art VI Strafge-
setznovelle 1918 ) zurückzuführen war, wurde in vierzig Prozent der Fälle
Gebrauch gemacht. Bei etwas mehr als der Hälfte der verhängten Stra-
fen handelte es sich auĂźerdem um bedingte Verurteilungen.1673 Abwei-
chungen von den im Strafgesetz 1852 angedrohten Strafen waren auch
im jugendgerichtlichen Verfahren vorgesehen.1674 Die weitgehende An-
wendung des auĂźerordentlichen Milderungsrechtes, die Umwandlung
von Kerker- in Arreststrafen und die Verhängung bedingter Freiheits-
gründe doch auf eine » gewisse Notlage «, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 490, 6 E Vr
2218 / 36, Urteil vom 11. Dezember 1936.
1669 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 358, 13 Vr 471 / 30, Urteil vom 26. April 1930.
1670 Dagegen stellte die in § 55 StG 1852 vorgesehene Möglichkeit der Verhängung ei-
ner kürzeren, aber verschärften Strafe, wenn der Täter oder die Täterin für eine
» schuldlose « Familie zu sorgen hatte, kein Milderungs-, sondern ein Strafum-
wandlungsrecht dar, vgl Altmann Ludwig / Jacob Siegfried, Kommentar 211 f.
1671 Dies entspricht dem gesamtösterreichischen Mittel auch noch in den 1930 er Jah-
ren, vgl MĂĽller Albert / Fleck Christian, Ă–ZG 1998, 402.
1672 Gesetz vom 5. Dezember 1918, womit mehrere Bestimmungen des Strafgesetzes
abgeändert werden ( Strafgesetznovelle vom Jahre 1918 ), StGBl 1918 / 92.
1673 Vgl Gesetz vom 23. Juli 1920 ĂĽber die bedingte Verurteilung, StGBl 1920 / 373.
1674 Dazu und zu deren Anwendung siehe Kapitel V.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik