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Nichtigkeitsbeschwerden an den Obersten Gerichtshof
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Allerdings sei damit nicht erwiesen, dass der Angeklagte überhaupt
keine strafbare Handlung begangen habe. Die Tat könne das Verbre-
chen der versuchten Unzucht wider die Natur verwirklichen, wenn sie
auf » Befriedigung der Sinneslust « gerichtet gewesen war. Hatte Karl L.
jedoch nur eine vorübergehende Berührung des Geschlechtsteiles des
Knaben beabsichtigt, so käme das Verbrechen der Schändung nach
§ 128 StG 1852 in Betracht. Da aber das erstinstanzliche Urteil die Ab-
sicht des Angeklagten nicht festgestellt hatte, hob der Oberste Gerichts-
hof das Urteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung
und Entscheidung an das Landesgericht Linz.1714 Mit einem Freispruch
endete freilich auch das neuerliche Verfahren nicht: Der Schöffensenat
verurteilte Karl L. wegen Schändung erneut zu einer Freiheitsstrafe von
drei Monaten schwerem Kerker, verschärft durch einen Fasttag monat-
lich.1715
Die einzige weitere Nichtigkeitsbeschwerde, der der Oberste Ge-
richtshof Folge leistete, wurde zum Nachteil des Angeklagten erhoben.
Der Staatsanwalt rügte die seiner Ansicht nach gesetzwidrige Ausmes-
sung der Strafe, durch die er den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Z 11 StPO
1873 verwirklicht sah. Der achtzehnjährige Knecht Josef L. war wegen
Unzucht wider die Natur verurteilt worden. Der Ausspruch über die
Strafe war gem § 13 Abs 1 JGG 1928 unter Festsetzung einer dreijähri-
gen Probezeit unterblieben. Dabei ging das erstinstanzliche Gericht
davon aus, dass die Anwendung des § 13 JGG 1928 nicht davon abhän-
gen könne, ob der Hauptverhandlungstermin durch Zufall auf einen
Termin vor oder nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des
Angeklagten fiele.1716 Der Oberste Gerichtshof hielt die Anwendung von
§ 13 JGG 1928 auf Josef L. hingegen für unzulässig und verurteilte ihn zu
einer bedingten strengen Arreststrafe in der Dauer von einem Monat.1717
Nicht nur die geringen Aussichten auf Erfolg, die die Nichtigkeits-
beschwerde bot, auch die hohen Anforderungen, die die schriftliche
Ausführung und juristische Begründung des Rechtsmittels an die
Kompetenz der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer stell-
ten, trugen dazu bei, dass Nichtigkeitsbeschwerden nur selten ergriffen
1714 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 335, 6 Vr 1158 / 28, Entscheidung des Obersten Gerichts-
hofs vom 27. November 1928.
1715 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 335, 6 Vr 1158 / 28, Urteil vom 29. Jänner 1929.
1716 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 384, 9 Vr 211 / 32, Urteil vom 5. März 1932.
1717 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 384, 9 Vr 211 / 32, Entscheidung des Obersten Gerichts-
hofs vom 10. Juni 1932.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik