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376 IX. Rechtsmittel und Gnadengesuche
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
wurden. Für juristische Laiinnen und Laien waren diese Hürden nur
schwer zu bewältigen: Die wenigen Personen, die in den Unzuchtsver-
fahren vor dem Landesgericht Linz eine Nichtigkeitsbeschwerde erhoben,
waren fast durchwegs bereits im erstinstanzlichen Verfahren durch einen
Verteidiger vertreten gewesen.1718 Neben den inhaltlichen Anforderun-
gen wirkte sich auch das finanzielle Risiko einer Nichtigkeitsbeschwerde
hemmend aus. Gem § 288 StPO 1873 konnte der Oberste Gerichtshof eine
Geldstrafe über Nichtigkeitswerberinnen und -werber verhängen, die
eine Beschwerde » mutwillig « oder nur zur Verzögerung der Sache erho-
ben. Der damit drohende finanzielle Nachteil hinderte vor allem ökono-
misch schwache Personen daran, das Rechtsmittel zu ergreifen.1719
C. Hoffnung auf besseres Ermessen – Berufungen an das
Oberlandesgericht
Das von Franz A. gegen die Nichtanwendung der bedingten Verurtei-
lung erhobene Rechtsmittel der Berufung im schöffengerichtlichen
Verfahren gem § 294 StPO 1873 rügte im Unterschied zur Nichtigkeits-
beschwerde nicht, dass das Erstgericht ein Gesetz verletzt hatte. Franz
A. strebte mit seiner Berufung vielmehr hinsichtlich des Strafausma-
ßes eine andere Strafzumessung durch den Gerichtshof zweiter Instanz
an.1720 Mittels Berufung ließ sich der Ausspruch über die Strafe aller-
dings nur dann bekämpfen, wenn das Gericht grundsätzlich vom richti-
gen Strafsatz ausgegangen war und lediglich innerhalb dessen Grenzen
beziehungsweise der Grenzen der Befugnisse zur außerordentlichen
Strafmilderung die Strafe zu hoch oder zu niedrig bemessen hatte.1721
Die Berufungsgründe waren daher entweder die Wahl der Strafart; der
Umstand, dass eine nicht zwingend vorgeschriebene Neben- oder Er-
satzstrafe angewendet oder nicht angewendet worden war; das Ausmaß
1718 Eine Ausnahme stellt der Hausbesitzer Gustav H. dar, der im erstinstanzlichen
Verfahren keinen Verteidiger hatte, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 438, 6 Vr 1638 / 34,
Hauptverhandlung vom 24. November 1934. Für das Fehlen von Beschwerdefüh-
rerinnen scheint dieser Umstand im Übrigen nicht verantwortlich zu sein, ledig-
lich zwei weibliche Angeklagte waren im Verfahren nicht anwaltlich vertreten, vgl
OÖLA, BG / LG Linz Sch 395, 6 Vr 1379 / 32, Urteil vom 4. Oktober 1932 sowie OÖLA,
BG / LG Linz Sch 476, 6 Vr 716 / 36, Urteil vom 9. Juni 1936.
1719 Vgl auch Kosjek Julius, Gerichtshalle 1879, 256.
1720 Vgl Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 288.
1721 Vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 488.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik