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378 IX. Rechtsmittel und Gnadengesuche
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
cher Unzucht Angeklagten. Auch die Berufungswerber waren alle männ-
lich und fast durchwegs bereits im erstinstanzlichen Verfahren von ei-
nem Verteidiger vertreten worden.1727 In den Berufungsausführungen
machten die Beschwerdeführer vor allem geltend, dass bei Bemessung
der Strafe mildernde Umstände nicht ausreichend und erschwerende
Umstände zu weitgehend berücksichtigt worden waren.1728 Franz A.
rügte etwa, dass das Erstgericht seiner Alkoholisierung zum Tatzeit-
punkt und dem Umstand, dass er durch den um vieles älteren Josef W.
verführt worden war, nicht stärkeres Gewicht beigemessen hatte. Statt-
dessen habe es aus seiner Gleichgültigkeit gegenüber Schulstrafen und
seinem angeblich frechen Benehmen bei früheren Dienstgebern darauf
geschlossen, dass eine bloß bedingte Verurteilung nicht ausreichend sei.
Außerdem habe das Erstgericht auch falsch beurteilt, dass Franz A. sich
zu den unzüchtigen Handlungen bereit erklärt habe, um einen materi-
ellen Vorteil zu erlangen: » [ D ]enn schliesslich und endlich kann eine
Tasse Tee doch nicht als besonders materieller Vorteil bezeichnet wer-
den, den [ er sich ] geben liess. « 1729 Auf diesen letzten Umstand ging das
zweitinstanzliche Gericht in seiner Berufungsentscheidung gar nicht
ein. Es erachtete die günstige Erhebung der Generalvormundschaft
und die Auskünfte über das letzte Schuljahr des Angeklagten, die auf
einen » genügenden Fortgang « und ein » normales Auffassungsvermö-
gen « schließen ließen, sowie die bedingte Verurteilung des Emil B. und
des Karl H. für hinlängliche Gründe, um der Berufung statt zu geben.
Der Strafvollzug wurde durch die Berufungsentscheidung für eine Pro-
bezeit von drei Jahren aufgeschoben.1730 Auch die Berufung des neun-
zehnjährigen arbeitslosen Hilfsarbeiters Walter K. wegen Nichtanwen-
dung der bedingten Verurteilung und jene des Hausbesitzers Gustav H.
auf Umwandlung der Kerker- in eine Arreststrafe waren erfolgreich.1731
Die Bereitschaft des zweitinstanzlichen Gerichts, die erste Instanz im
1727 Eine Ausnahme stellte auch hier Gustav H. dar, vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 438, 6
Vr 1638 / 34, Urteil vom 24. November 1934.
1728 Dazu auch Mikinovic Stephan / Stangl Wolfgang, Strafprozeß und Herrschaft. Eine
empirische Untersuchung zur Korrektur richterlicher Entscheidungen ( 1978 ) 122 f.
1729 OÖLA, BG / LG Linz Sch 358, 14 Vr 471 / 30, Berufungsausführung ( undatiert ).
1730 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 358, 14 Vr 471 / 30, Entscheidung des Oberlandesgerichts
Wien vom 28. Mai 1934.
1731 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 492, 6 Vr 2348 / 36, Entscheidung des Obersten Gerichts-
hofs; OÖLA, BG / LG Linz Sch 438, 6 Vr 1638 / 34, Entscheidung des Obersten Ge-
richtshofs vom 8. Jänner 1935. In beiden Fällen war die Berufung jeweils mit einer
Nichtigkeitsbeschwerde verbunden gewesen.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik