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386 IX. Rechtsmittel und Gnadengesuche
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
das schmerzlichste schamvoll « 1764 bereuten und versprachen, sich » der
Gnade würdig [ zu ] erweisen. « 1765 Zum Teil führten die Gnadenwerber
für ihre Taten Gründe an, die bereits bei der Strafbemessung durch
das Erstgericht mildernd berücksichtigt worden waren: Der 56-jährige
Wirtschaftsbesitzer Bürgermeister Josef F. machte für die Unzuchts-
handlungen, die zu seiner Verurteilung geführt hatten, eine » durch
den Alkoholgenuss hervorgerufene Willensschwäche « 1766 verantwort-
lich. » Vereinsamung « und » katastrophale[ . ] Depression « 1767 nannte
der 35-jährige Lehrer Johann P. als Auslöser für die ihm vorgeworfenen
strafbaren Handlungen. Der 39-jährige pensionierte Postoberoffizial Al-
bert M. berief sich auf » [ e ]rerbte Krankheit « 1768.
Im Hinblick auf Umstände, die sich bei der Strafbemessung er-
schwerend ausgewirkt hatten, bot das Gnadengesuch ebenfalls die
Möglichkeit, eine Gegengeschichte zu erzählen. Der 25-jährige Gefreite
Anton St., dem das Urteil » wiederholte Angriffe zum Teil an Jugendli-
chen « erschwerend zur Last gelegt hatte, nahm in seinem Gnadenge-
such eine radikale Umdeutung der Ereignisse vor:
» Berücksichtigt muss wohl auch werden, dass die Burschen mir
dadurch Gelegenheit geboten haben, dass sie ohne weiters zu
mir auf mein Zimmer kamen, sich zu mir in das Bett legten, ob-
wohl jeder in Leonfelden ein eigenes Heim hatte und dort hätte
schlafen können. « 1769
Auch der Beamte Johann B. versuchte, eine Gegenerzählung für die
» Verführung eines Jugendlichen « anzubieten, die bei der Strafbemes-
sung als Erschwerungsgrund angenommen worden war. Dies tat er,
indem er die im Urteil angeführten Positionen von » Verführer « und
» Verführtem « vertauschte: Johann B. war wegen gegenseitiger Ona-
nie mit dem sechzehnjährigen Alfred V. zu einer zweimonatigen Haft-
strafe verurteilt worden. Nach den Unzuchtshandlungen hatte Alfred V.
von Johann B. verlangt, er solle ihm seine Münzsammlung geben » aus
Dankbarkeit für das was geschen [ sic ! ] ist. « 1770 Dementsprechend hatte
1764 OÖLA, BG / LG Linz Sch 339, 6 Vr 449 / 29, Gnadengesuch vom 19. November 1929.
1765 OÖLA, BG / LG Linz Sch 370, 6 Vr 319 / 31, Gnadengesuch vom 4. Juli 1934.
1766 OÖLA, BG / LG Linz Sch 314, Vr VI E 832 / 26, Gnadengesuch vom 14. Februar 1927.
1767 OÖLA, BG / LG Linz Sch 339, 6 Vr 449 / 29, Gnadengesuch vom 19. November 1929.
1768 OÖLA, BG / LG Linz Sch 345, 11 Vr 1095 / 29, Gnadengesuch vom 10. Dezember 1932.
1769 OÖLA, BG / LG Linz Sch 366, 12 Vr 1576 / 30, Gnadengesuch vom 11. Mai 1931.
1770 OÖLA, BG / LG Linz Sch 370, 9 Vr 316 / 31, Brief vom 16. Februar 1931.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik