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388 IX. Rechtsmittel und Gnadengesuche
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
lungen, die Sohn und Schwiegertochter mit ihrer minderjährigen An-
gestellten begangen hatten, auf die » krankhafte Veranlagung « seines
Sohnes zurück: Diese beherrsche » sein Sexualleben in masochistisch
perverser Weise [ … ] gerade auf diesem Gebiete sind die Menschen oft
willenlose Sklaven ihrer Leidenschaften und mehr unglĂĽckliche Ob-
jekte als Subjekte ihres Trieblebens. « 1775 Der Vater des in zweiter Instanz
wegen Unzucht wider die Natur zu einer dreimonatigen Kerkerstrafe
verurteilten 28-jährigen Privatbeamten Franz Br. entwarf in einer in sei-
nem Gnadengesuch enthaltenen » Gedächtnisschrift « eine » konträrse-
xuelle Biographie « seines Sohnes. Bei diesem sei bereits als Säugling
und noch einmal im Volksschulalter eine Operation am Geschlechtsteil
notwendig gewesen. Erst im Erwachsenenalter sei bei ihm eine » Um-
wälzung « eingetreten und habe er eine Frauenbekanntschaft gehabt,
» was er früher verabscheute « 1776. Auch Theorien einer hereditären Be-
lastung waren Franz Br. senior nicht unbekannt und wurden von ihm
herangezogen:
» Ich bin ein Laie, aber das eine fasse ich richtig auf, ist man sexu-
ell veranlagt, also krank, so mĂĽsste man das genau so behandeln
als wie Kurzsichtigkeit, Blindheit, Lahmheit usw. Es ist derselbe
Körperfehler. Dass mein Sohn so krank war, schreibe ich auch
meiner kurz verstorbenen Frau zu. [ … ] meine Frau [ war ] schon
von Kindheit an krank, dies vererbte sich auch auf meinen Sohn,
über all dies habe ich ärztlichen Beweis. « 1777
Wie von der zeitgenössischen Rechtswissenschaft ganz allgemein ge-
fordert, blieb die Gewährung eines Gnadenaktes allerdings auch in
Unzuchtsverfahren die Ausnahme.1778 In insgesamt elf Fällen richte-
ten sieben Verurteilte und vier ihnen nahestehende Personen ein oder
mehrere Ersuchen um Nachsicht der Strafe oder Tilgung 1779 der Ver-
urteilung an den Bundespräsidenten. Dabei war der Strafnachsicht in
1775 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 347, 9 Vr 1242 / 29, Gnadengesuch vom 29. April 1930.
1776 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 513, 6 Vr 2682 / 37, Gnadengesuch vom April 1938.
1777 OĂ–LA, BG / LG Linz Sch 513, 6 Vr 2682 / 37, Gnadengesuch vom April 1938.
1778 Vgl Rittler Theodor, Lehrbuch I 276 Fn 5 mit weiteren Nachweisen. Dazu auch Kesper-
Biermann Sylvia in Vormbaum Thomas ( hg ), Jahrbuch 26.
1779 Eine getilgte Verurteilung schien weder auf einer Strafkarte, noch in einem Leu-
mundszeugnis auf. § 6 Gesetz vom 21. März 1918 über die Tilgung der Verurteilung,
RGBl 1918 / 108 iVm Art 65 Abs 2 lit c B-VG erlaubte eine gnadenweise Tilgung der
Verurteilung in jenen Fällen, in denen kein Anspruch auf Tilgung bestand. Vgl
Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 373.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik