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396 X. Schlussbetrachtung
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
schlechtlichte Verständnis männlicher und weiblicher Unzucht jeweils
auswirkte. Männlichkeit und männliche Sexualität schienen in beson-
derem Ausmaß des Schutzes vor einer Beeinflussung durch Konträrse-
xuelle zu bedürfen. Der männliche ( Sexual- ) Körper galt durch gleich-
geschlechtliche Handlungen in ungleich höherem Maße bedroht als
der weibliche. Die zuvor bereits in der gerichtsmedizinischen Literatur
vertretene Auffassung, dass sich der Unzuchtsverkehr tief in die betei-
ligten männlichen Körper einschrieb, während er am weiblichen Körper
kaum Spuren hinterlieĂź, setzte sich damit auf juristischer Ebene fort.
Der weibliche Körper schien nicht nur unempfindlicher gegenüber un-
züchtigen Handlungen – Unzucht zwischen Frauen blieb der öffentli-
chen Wahrnehmung auch weitestgehend entzogen. Dies drĂĽckte sich in
einer traditionell niedrigeren Verfolgung weiblicher gleichgeschlecht-
licher Sexualität aus. Ihr entsprach das geringere Augenmerk, das die
Sexualwissenschaft der weiblichen Konträrsexualität schenkte. Es ließ
den Eindruck entstehen, dass » [ s ]olche Sexualdelikte [ . ] bei Frauen
auch nicht so ärgerniserregend [ wären ] wie bei Männern. « 1791 Gleich-
geschlechtliche weibliche Unzucht tauchte im juristischen und im se-
xualwissenschaftlichen Diskurs nur am Rande auf. Dem lag ein zeit-
genössisches Verständnis von Weiblichkeit zugrunde, das Frauen als
sexuell passiv einstufte und geschlechtliche Akte unter Frauen fĂĽr un-
wahrscheinlich erachtete.
Die österreichische Rechtslage schien damit freilich im Widerspruch
zu stehen: Während Frauen bei der überwiegenden Zahl der Delikte ge-
gen die Sittlichkeit lediglich » Opfer « sein konnten, konstruierte das Straf-
gesetz Frauen beim Delikt der gleichgeschlechtlichen Unzucht als auto-
nom handelnde Strafrechtssubjekte. Diese Gegensätze führten zu einem
ambivalenten Umgang mit weiblicher sexueller Autonomie, den auch
die Sexualwissenschaft nicht auflösen konnte. Sie blieb nicht nur selbst
den Geschlechterbildern ihrer Zeit verhaftet: Wo sie sich der gleichge-
schlechtlichen weiblichen Unzucht widmete, richtete sie ihren Blick
häufig auf Frauen, die bereits a priori als deviant eingestuft waren, wie
etwa Prostituierte. Bei » Prostituierte[ n ], die sich als Tribaden bemerklich
machen « 1792 nahmen die Sexualwissenschafter aber mehrheitlich keine
konträrsexuelle Veranlagung an, sondern gingen davon aus, sie seien
1791 StenProt 42. Sitzung des Strafrechts-Ausschusses am 23. Jänner 1930, Parlaments-
archiv Wien.
1792 Krafft-Ebing Richard von, Psychopathia 12 429.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Title
- Verkehrte Leidenschaft
- Subtitle
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Author
- Elisabeth Greif
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 478
- Category
- Recht und Politik