Page - 6 - in Grigia
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als halbkreisförmigen Wall hoher, oben von Schroffen durchsetzter Berge,
welche steil zu einer Senkung abfielen, die rund um einen in der Mitte
stehenden kleineren und bewaldeten Kegel lief, wodurch das Ganze einer
leeren gugelhupfförmigen Welt ähnelte, von der ein kleines Stück durch den
tief fließenden Bach abgeschnitten worden war, so daß sie dort klaffend gegen
die hohe, zugleich mit ihm talwärts streichende andere Flanke seines Ufers
lehnte, an welcher das Dorf hing. Es gab ringsum unter dem Schnee Kare mit
Knieholz und einigen versprengten Rehen, auf der Waldkuppe in der Mitte
balzte schon der Spielhahn, und auf den Wiesen der Sonnenseite blühten die
Blumen mit gelben, blauen und weißen Sternen, die so groß waren, als hätte
man einen Sack mit Talern ausgeschüttet. Stieg man aber hinter dem Dorf
noch etwa hundert Fuß höher, so kam man auf einen ebenen Absatz von nicht
allzugroßer Breite, den Äcker, Wiesen, Heuställe und verstreute Häuser
bedeckten, während von einer gegen das Tal zu vorspringenden Bastion die
kleine Kirche in die Welt hinausblickte, welche an schönen Tagen fern vor
dem Tal wie das Meer vor einer Flußmündung lag; man konnte kaum
unterscheiden, was noch goldgelbe Ferne des gesegneten Tieflands, war und
wo schon die unsicheren Wolkenböden des Himmels begonnen hatten.
Es war ein schönes Leben, das da seinen Anfang nahm. Tagsüber auf den
Bergen, bei alten verschütteten Stolleneingängen und neuen Schürfversuchen,
oder auf den Wegen das Tal hinaus, wo eine breite Straße gelegt werden
sollte; in einer riesigen Luft, die schon sanft und schwanger von der
kommenden Schneeschmelze war. Sie schütteten Geld unter die Leute und
walteten wie die Götter. Sie beschäftigten alle Welt, Männer und Frauen. Aus
den Männern bildeten sie Arbeitspartien und verteilten sie auf die Berge, wo
sie wochenüber verbleiben mußten, aus den Weibern formierten sie
Trägerkolonnen, welche ihnen Werkzeugersatz und Proviant auf kaum
wegsamen Steigen nachschafften. Das steinerne Schulhaus ward in eine
Faktorei verwandelt, wo die Waren aufbewahrt und verladen wurden; dort rief
eine scharfe Herrenstimme aus den schwatzend wartenden Weibern eins nach
dem andern vor, und es wurde der große leere Rückenkorb so lang befrachtet,
bis die Knie sich bogen und die Halsadern anschwollen. War solch ein
hübsches junges Weib beladen, so hing ihm der Blick bei den Augen heraus
und die Lippen blieben offen stehn; es trat in die Reihe, und auf das Zeichen
begannen diese stillgewordenen Tiere hintereinander langsam in langen
Schlangenwegen ein Bein vor das andre bergan zu setzen. Aber sie trugen
köstliche, seltene Last, Brot, Fleisch und Wein, und mit den Eisengeräten
mußte man nicht ängstlich umgehn, so daß außer dem Barlohn gar manches
Brauchbare für die Wirtschaft abfiel, und darum trugen sie es gerne und
dankten noch den Männern, welche den Segen in die Berge gebracht hatten.
Und das war ein herrliches Gefühl; man wurde hier nicht, wie sonst überall in
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book Grigia"
Grigia
- Title
- Grigia
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1924
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 21
- Categories
- Weiteres Belletristik