Page - 14 - in Grigia
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war vor ihm eine Fliege heruntergefallen und lag vergiftet am Rücken, mitten
in einer jener Lachen, zu denen in den kaum merklichen Falten des
Wachstuchs das Licht der Petroleumlampe zusammenfloß; sie waren so
vorfrühlingstraurig, als ob nach Regen ein starker Wind gefegt hätte. Die
Fliege machte ein paar immer schwächer werdende Anstrengungen, um sich
aufzurichten, und eine zweite Fliege, die am Tischtuch äste, lief von Zeit zu
Zeit hin, um sich zu überzeugen, wie es stünde. Auch Homo sah ihr genau zu,
denn die Fliegen waren hier eine große Plage. Als aber der Tod kam, faltete
die Sterbende ihre sechs Beinchen ganz spitz zusammen und hielt sie so in die
Höhe, dann starb sie in ihrem blassen Lichtfleck am Wachstuch wie in einem
Friedhof von Stille, der nicht in Zentimetermaßen und nicht für Ohren, aber
doch vorhanden war. Jemand erzählte gerade: »Das soll einer einmal wirklich
ausgerechnet haben, daß das ganze Haus Rothschild nicht so viel Geld hat,
um eine Fahrkarte dritter Klasse bis zum Mond zu bezahlen.« Homo sagte
leise vor sich hin: »Töten, und doch Gott spüren; Gott spüren, und doch
töten?« und er schnellte mit dem Zeigefinger dem ihm gegenübersitzenden
Major die Fliege gerade ins Gesicht, was wieder einen Zwischenfall gab, der
bis zum nächsten Abend vorhielt.
Damals hatte er schon lange Grigia kennen gelernt, und vielleicht kannte
sie der Major auch. Sie hieß Lene Maria Lenzi; das klang wie Selvot und
Gronleit oder Malga Mendana, nach Amethystkristallen und Blumen, er aber
nannte sie noch lieber Grigia, mit langem I und verhauchtem Dscha, nach der
Kuh, die sie hatte, und Grigia, die Graue, rief. Sie saß dann, mit ihrem violett
braunen Rock und dem gesprenkelten Kopftuch, am Rand ihrer Wiese, die
Spitzen der Holländerschuhe in die Luft gekrümmt, die Hände auf der bunten
Schürze verschränkt, und sah so natürlich lieblich aus wie ein schlankes
giftiges Pilzchen, während sie der in der Tiefe weidenden Kuh von Zeit zu
Zeit ihre Weisungen gab. Eigentlich bestanden sie nur aus den vier Worten
»Geh ea!« und »Geh aua!«, was soviel zu bedeuten schien wie ›komm her‹
und ›komm herauf›, wenn sich die Kuh zu weit entfernte; versagte aber
Grigias Dressur, so folgte dem ein heftig entrüstetes: »Wos, Teufi, do geh
hea«, und als letzte Instanz polterte sie wie ein Steinchen selbst die Wiese
hinab, das nächste Stück Holz in der Hand, das sie aus Wurfdistanz nach der
Grauen sandte. Da Grigia aber einen ausgesprochenen Hang hatte, sich immer
wieder talwärts zu entfernen, wiederholte sich der Vorgang in allen seinen
Teilen mit der Regelmäßigkeit eines sinkenden und stets von neuem
aufgewundenen Pendelgewichts. Weil das so paradiesisch sinnlos war, neckte
er sie damit, indem er sie selbst Grigia rief. Er konnte sich nicht verhehlen,
daß sein Herz lebhafter schlug, wenn er sich der so Sitzenden aus der Ferne
nahte; so schlägt es, wenn man plötzlich in Tannenduft eintritt oder in die
würzige Luft, die von einem Waldboden aufsteigt, der viele Schwämme trägt.
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Grigia
- Title
- Grigia
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1924
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 21
- Categories
- Weiteres Belletristik