Page - 26 - in Guido Adlers Erbe - Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
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© 2017, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847107217 – ISBN E-Lib: 9783737007214
ErstenWeltkrieg einerhartenProbeunterzogen.Wie soviele anderebeteiligte
sichauchAdler anderallgemeinenKriegspropaganda,wobei er sichmitdeut-
lich spürbarerAnstrengungbemühte, frühereAuffassungen–wiedieeines für
diegedeihlicheEntwicklungvonMusiknotwendigenmultinationalenKlimas–
nicht gänzlich preiszugeben. Hilfreichwar dabei die auch von ihmvehement
vertretene Vorstellung einer Hegemonie deutsch-österreichischer Musik spä-
testensseitder2.Hälftedes18. Jahrhunderts.Siestelltenämlichsicher,dassvor
allemdieanderen,nicht-deutschsprachigenNationeninnerhalbundaußerhalb
derMonarchie unter einem„Boykott“ deutscher „Tonkunst“ zu leidenhätten.
Das galt für die slawischen Völker des Habsburgerreiches sowie Ungarn in
gleicherWeisewie fürEngländer, Franzosen, Italiener undRussen.Dazukam,
dass seineÜberzeugung einer kontinuierlichen Stilentwicklung bzw. eines or-
ganischen Fortgangs der Musikgeschichte eine radikale Kritik gerade der
avanciertenModerne erlaubte. So brandmarkte er beispielsweise die Schöp-
fungendes italienischenFuturismus als „widerliche[n] Fratzen“44undmachte
sich über synästhetischeVersuche einer Farbenmusik bei russischenKompo-
nisten wie Alexander Skrjabin (1871–1915) lustig.45 Ergänzt wurden solche
Zurückweisungen durch ethischeVorbehalte gegenüber weiten Bereichen der
Popularmusik.Dasbetrafdieeinheimische„Operettenseuche“46ebensowiedas
bei Soldatengepflegte Liedgut.Dasbei englischenTruppenbeliebte It’s a long
way to Tipperary verunglimpfte er etwa als „Söldnerbänkel im Niggerrhyt-
mus“.47DieKritikbetrafdurchausauchmusikalischeEntwicklungenimInland,
dennoch stammen die drastischeren Beispiele wohl nicht zufällig aus dem
Auslandund ließensichgut indasallgemeine „Feindbild“einpassen.
Adler vertrat also eine nicht unproblematische organologische Auffassung
vonMusikgeschichte.48Generell eher natur- als geisteswissenschaftlichen Pa-
radigmen verpflichtet, hatte für ihn insbesondere die EvolutionsbiologieMo-
dellcharakter. Organologische Metaphern und Analogien nach dem Muster
Aufstieg–Blüte–Verfall durchziehenseineSchriften,underkenntauchkeine
Scheu vor denKonsequenzen einer darwinistischen Betrachtungsweise. Denn
Musikgeschichtehabezuverfolgen, „wie andasGlied sichnachundnacheine
Kette von Zellen anschließt und so organisch wächst, wie die außerhalb der
44 GuidoAdler: Tonkunst undWeltkrieg. In: Kriegs-Almanach 1914–1916.Hg. vomKriegs-
Hilfsbürodeskaiserlich-königlichenMinisteriumsdesInneren.Wien:Kriegshilfsbüro1916,
S. 79–97,zitiertnachdemSeparat-AbdruckWien:HermesBuch-undKunstdruckerei1915,
S. 1–19,hierS. 13.
45 Ebd., S. 15.
46 GuidoAdler: Die österreichischeTonkunst und derWeltkrieg. In:ÖsterreichischeRund-
schau42 (1915),H.3, S. 160–169,hierS. 164.
47 Adler:TonkunstundWeltkrieg (Anm.44), S. 8.
48 SiehedazuBoisits:Historisch/systematisch/ethnologisch (Anm.18), S. 44f.
BarbaraBoisits26
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Guido Adlers Erbe
Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Title
- Guido Adlers Erbe
- Subtitle
- Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Editor
- Stefan Alker-Windbichler
- Murray Hall
- Markus Stumpf
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0721-4
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Political Science, National Socialism, Nazi-looted, musical life, provenance research, Nationalsozialismus, NS-Raub, Musikleben
- Category
- Kunst und Kultur