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© 2017, V&R unipress GmbH, Göttingen
ISBN Print: 9783847107217 – ISBN E-Lib: 9783737007214
ichwerdedenWienerHerrenschonMoresbeibringenundsieReichstreuelehren,auch
wenn ihnendas imAugenblicketwas zuwider ist.49
WasGoebbels „denWienerHerren“ als fehlendeReichstreue auslegte, war je-
dochnichts anderes alsdieBenennungeinesKonkurrenzverhältnisses, dasdie
BeziehungenzwischenWienundBerlinalsdenbeidendeutschenHauptstädten
bereits seit den letzten Jahrzehntendes 19. Jahrhunderts prägteund imNatio-
nalsozialismus nicht nur nicht zum Verschwinden gebracht werden konnte,
sondern geradezu eineNeuauflage erfuhr50– seitKriegsbeginn zusehendsmit
geänderten Vorzeichen übrigens, da Wien weitaus geringere Kriegsschäden
verzeichnete als Berlin und das alltägliche Lebenwie auch der Kulturbetrieb
dadurch von größerer Normalität geprägt war. Dass sich Goebbels in seinen
Tagebüchern derart häufigmit der „MusikstadtWien“-Thematik beschäftigte
und dabei zwischen Anerkennung und Ablehnung von Schirachs politischer
InstrumentalisierungdesTopososzillierte,bringtvorallemzumAusdruck,dass
dieseoffenbarals auĂźerordentlicherfolgreichwahrgenommenwurde.
Die„Musikstadt“alsLegitimationantisemitischerVerfolgung
AmBeispiel der Kriegspropagandawurde bereits demonstriert, wie vielfältig
politischinstrumentalisierbardie„Musikstadt“warundwieattraktivdarumder
RĂĽckgriffaufsiefĂĽrdieVertreterdernationalsozialistischenHerrschaft inWien
wurde.AuĂźerdemzeigte sichandenUmbenennungenvonStraĂźennamen,wie
Antisemitismuserinnerungspolitisch implementiertwurde.Dochauch jenseits
vonbloßer Erinnerungspolitik lieferte der „Musikstadt“-Topos eine Legitima-
tionsbasis fĂĽr reale antisemitische Verfolgung. Am 11. Januar 1939 titelte der
Völkische Beobachter (Wiener Ausgabe): „In Beethovens Lieblingswohnung
haustenJuden“.AntisemitischeHetzeverschränktsich imArtikelmitharscher
Kritik am sogenannten „System Schuschnigg“ – die Folie der „Musikstadt“
wurdedamit ebenso zumrassepolitischenPropagandawerkzeugwie zu einem
Instrumentalisierungsvehikel der „Anschluss“-Legitimation. Es sei, so der
VölkischeBeobachter,eine
49 DieTagebĂĽcher vonJosephGoebbels (Anm.2), S. 583 (Eintragvom30.03.1942).
50 Vgl.etwaScheit:Musik-Standort(Anm.47),S. 222.AusdervielfältigenForschungsliteratur
zumhistorischenKonkurrenzverhältniszwischenWienundBerlinvgl. exemplarischFrank
Trommler: Berlin andVienna.Reassessing theirRelationship inGermanCulture. In:Ger-
manPolitics and Society 23 (2005),Heft 1, S. 8–23, hier S. 14–21; JulianeMikoletzky:Die
Wiener Sicht auf Berlin, 1870–1934. In:Metropolis Berlin. Berlin als deutscheHauptstadt
imVergleich europäischer Hauptstädte 1871–1939. Hg. vonGerhard Brunn und Jürgen
Reulecke.Bonn,Berlin:Bouvier1992, S. 471–528.
FritzTrĂĽmpi42
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Guido Adlers Erbe
Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Title
- Guido Adlers Erbe
- Subtitle
- Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Editor
- Stefan Alker-Windbichler
- Murray Hall
- Markus Stumpf
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0721-4
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Political Science, National Socialism, Nazi-looted, musical life, provenance research, Nationalsozialismus, NS-Raub, Musikleben
- Category
- Kunst und Kultur