Page - 43 - in Guido Adlers Erbe - Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
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ISBN Print: 9783847107217 – ISBN E-Lib: 9783737007214
beinahe kulturwidrige Tatsache, dass in den Zeiten des frĂĽheren Systems auch die
ArbeitsstättedesTonherosweitervermietetwurde.DasÄrgerniswirdabervollkommen,
wennmannunerfährt, dass sich bis zumheurigenFrühjahr eine Judenfamilie inder
Beethoven-Wohnung breit machte. Die Schandregierung Schuschniggs und Reithers
fandesebenganzinOrdnung,daßart-undrassenfremdeSchmöckedieallenDeutschen
geheiligteWerkstatt des größtenmusikalischenGeniusmitBeschlagbelegten.DerGe-
danke,daß jüdischesGemauscheldieWändeerfüllte,welchedie stummenZeugender
GeburtdergrößtenMeisterwerkeinderMusikgeschichteallerZeitenundVölkerwaren,
ist zu grotesk, als daß er im erstenAugenblick voll erfaßt werden könnte. […]Diese
UngeheuerlichkeitwurdenatĂĽrlichsofortbeseitigtalsmannachdemSystemwechselin
derLandeshauptmannschaftdaraufkam.DerJudefloginweitemBogenhinaus[…].51
ImNamender„Musikstadt“wurdenJosef(1883–1944/45)undJosefineEckstein
(1886–1944/45), derenKinderClara (geb.1911)undHedwig (geb.1914) sowie
RosaHahndel (1858–1938),dieMutter JosefineEcksteins, am20. Juni1938aus
der vermeintlichenBeethovenwohnungdelogiert.RosaHahndelverstarbnoch
1938inWien,52dieElternvonHedwigundClarawurdenimJuni1943zunächst
nach Theresienstadt deportiert53 und am 23.Oktober 1944 nach Auschwitz
überstellt,wosie ermordetwurden.54Vonder fünfköpfigenFamilieüberlebten
nur die Kinder Hedwig und Clara denNationalsozialismus – sie konnten im
Rahmen sogenannter „Kindertransporte“ 1938und1940nachEnglandund in
dieUSAemigrieren.55DieWohnung der Familie Eckstein hingegenwurde im
November1941 in eineBeethoven-Gedenkstätteumgewandelt, vonder imZu-
sammenhangmitderMozart-WochedesDeutschenReichesbereitsdieRedewar;
dass es sichgarnichtumBeethovenswirklicheWohnunghandelte,war inoffi-
ziell schondamalsbekannt.56
MitderWohnungderFamilieEcksteinverhält essichnichtandersalsmitder
BibliothekGuidoAdlers (1855–1941), diedenAnlassdiesesBandesbildet:Vor-
geblich imNamenmusikpolitischerBestrebungen,wie sie sich amDeutlichsten
im„Musikstadt“-Toposwiderspiegeln,wurdehierdelogiert,dortgeraubt.Dieser
Topos,sovielsollausdenhierrudimentärskizziertenZusammenhängendeutlich
werden,weitete sich imNationalsozialismus also zuweitmehr als einer bloĂźen
51 InBeethovensLieblingswohnunghaustenJuden.VölkischerBeobachter(WienerAusgabe),
11.01.1939, S. 10.Hervorhebung imOriginal.
52 SchreibenWienerStadt-undLandesarchiv(MichaelaLaichmann)mitBezugaufhistorische
MeldeunterlagenanF.T., 22.04.2009.
53 Div. SchreibenWiener Stadt- undLandesarchiv (Michaela Laichmann)mitBezugauf his-
torischeMeldeunterlagenanF.T., 22.04.2009sowie30.04.2009.
54 Vgl. die Opferdatenbanken des DĂ–W: Josef Eckstein: http://de.doew.braintrust.at/db_
shoah_22667.html; Josefine Eckstein: http://de.doew.braintrust.at/db_shoah_22668.html,
abgerufenam27.09.2013.
55 SchreibenWienerStadt-undLandesarchiv(MichaelaLaichmann)mitBezugaufhistorische
MeldeunterlagenanF.T., 22.04.2009 sowie30.04.2009.
56 Detailliert beiTrümpi:Komponisten (Anm.29), S. 234–237.
„MusikstadtWien“-Toposals Instrument 43
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Guido Adlers Erbe
Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Title
- Guido Adlers Erbe
- Subtitle
- Restitution und Erinnerung an der Universität Wien
- Editor
- Stefan Alker-Windbichler
- Murray Hall
- Markus Stumpf
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0721-4
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Political Science, National Socialism, Nazi-looted, musical life, provenance research, Nationalsozialismus, NS-Raub, Musikleben
- Category
- Kunst und Kultur