Page - 109 - in Das Wiener Handwerksordnungsbuch - (1364–1555)
Image of the Page - 109 -
Text of the Page - 109 -
IV.2. Gesellen und Gesellenschaften 109
samt gibt es vier Vorstände, wobei alle Quatember die zwei ältesten Gesellen dieser Funk-
tion enthoben werden, die beiden jüngeren in ihre Position nachrücken und zwei andere
neu gewählt werden, wobei bei Letzteren die Stimmenmehrheit ausschlaggebend für die
Bestellung ist705. In der Ordnung der Handschustergesellen von 1518/19 werden als Vor-
steher der Gesellenschaften zwei Vorgeher bzw. Wirte (vorgeer oder wirte) bestimmt, die in
einem vierwöchigen Rhythmus neu gewählt werden sollen; dieser Zeitspanne entspricht
auch der monatliche Abstand zwischen den Versammlungen der Gesellenschaft706.
Da sich die Gesellen der Tuch- und Kotzenmacher mit ihren Meistern in einer ge-
meinsamen Zeche befinden, ist laut der Ordnung von 1530 auch der Zechvorstand in
dieser Weise zusammengesetzt: Neben einem Meister der Tuch- und einem der Kotzen-
macher sollen zwei Gesellen diese Funktion übernehmen, einer von ihnen soll jedoch
verheiratet, der andere unverheiratet sein. Dem Zechmeister, der ein Tuchmacher ist, wird
die Büchse – jedoch ohne Schlüssel – überantwortet, die zwei Gesellen und der Kotzen-
macher bewahren jeweils einen Schlüssel dazu auf707.
Bei den Hufschmiedegesellen haben die ältesten Gesellen die Verantwortung über
die Büchse, in der Ordnung von 1532 findet sich jedoch keine genauere Angabe, wie
viele Vorsteher die Gesellenschaft haben sollte. Wenn die Altgesellen wandern wollen,
dann dürfen sie den Büchsenschlüssel dem nächstältesten Gesellen in der Werkstatt an-
vertrauen708.
In den meisten Fällen standen also vier Gesellen den Gesellenschaften vor. Eine ihrer
Hauptaufgaben war die Verwaltung der zentralen Büchse, in welche die in der Stadt le-
benden Kollegen ihre regelmäßigen Beiträge zahlen mussten. Häufig wurde die Führung
der Gesellenbüchse von den Meistern kontrolliert. Eine vollkommen von der Meister-
zeche unabhängige Gesellenschaft dürfte in Wien laut den im HWOB überlieferten Ord-
nungen eher eine Seltenheit gewesen sein. Die Vorsteher der Gesellenschaften übernah-
men neben der Büchsenverwaltung aber noch mehrere andere Aufgaben, die mit dem in
der zentralen Kassa eingezahlten Geld finanziert wurden: die Abhaltung von Messen, die
Krankenversorgung und die allfällige Bestattung von verstorbenen Mitgliedern.
IV.2.5.3. Krankenversorgung und Begräbniswesen
Die kollektive soziale Sicherung war einer der Hauptaufgabenbereiche der Meister-
zünfte und der Gesellenschaften gleichermaßen. Die historische Handwerksforschung hat
dies bereits früh erkannt709, jedoch haben nur wenige Studien bisher ihre Schwerpunkte
in diesem Bereich gesetzt710. In der aktuell wohl umfangreichsten Arbeit zu kollektiven Si-
705 Siehe Nr. 340 Art. 9; vgl. auch Zatschek, Handwerk 82, der hervorhebt, dass dies ein relativ frühes
Beispiel für diese später weit verbreitete Form der Bestellung der Büchsengesellen ist.
706 Siehe Nr. 345 Art. 1. In Art. 2. werden die Vorsteher altgesellen genannt; der Begriff taucht in dieser
Form hier erstmals auf. Vgl. dazu auch Zatschek, Handwerk 82f.; allgemein: Wissell, Recht 3 296.
707 Siehe Nr. 314 Art. 6; Zatschek, Handwerk 88.
708 Siehe Nr. 352a Art. 2.
709 Einen konzisen Überblick über die Beschäftigung der Geschichtsschreibung mit den sozialen Siche-
rungsmechanismen der Zünfte bietet Korge, Kollektive Sicherung 32–52.
710 Zur sozialen Sicherung im sächsischen Handwerk in der Frühen Neuzeit siehe beispielsweise Kel-
ler, Formen passim, und jetzt auch umfassend Korge, Kollektive Sicherung. Zu Straßburg vgl. vor allem von
Heusinger, Zunft 124–136, zu weiteren oberrheinischen und oberdeutschen Städten Schulz, Handwerksge-
sellen 196–208. Einen allgemeinen Überblick über die sozialen Sicherungsformen der Gesellenschaften bieten
unter anderem Fröhlich, Soziale Sicherung 115–172, und Reininghaus, Gesellengilden 144–161.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Title
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Subtitle
- (1364–1555)
- Author
- Markus Gneiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 674
- Keywords
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen