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IV.2. Gesellen und Gesellenschaften 123
genau festgelegte Vergehen eingezahlt wurden, die sich zum anderen aber auch um alle
mit den Zuständigkeiten der Gesellenschaft in Verbindung stehenden Aktivitäten küm-
merten. Sie wurden – soweit die im HWOB überlieferten Ordnungen darüber Aufschluss
geben – in der Regel durch die Gesellen selbst gewählt, nur selten (wie bei den Tuch- und
Kotzenmachern) waren auch die Meister an der Wahl beteiligt. Dass die Gesellenschaften
jedoch in zahlreichen Fällen nicht komplett unabhängig von der Meisterzeche waren, ist
beispielsweise bei den Schneidern, Kürschnern oder Schustern zu sehen, bei denen neben
den üblichen vier puchsengesellen auch zwei Handwerksmeister die Verwaltung der zent-
ralen Kassa überwachten. Teilweise kam es auch vor, dass Gesellen und Meister explizit in
einer gemeinsamen Organisation vereint waren, wie es zum Beispiel bei den Tuch- und
Kotzenmachern im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts der Fall gewesen zu sein scheint.
Auch bei den Tischlern – deren Zeche um 1500 in die Wiener Fronleichnamsbruder-
schaft zu St. Stephan inkorporiert wurde – dürften die Gesellen ab diesem Zeitpunkt
wenig Spielraum für eine eigenständige bruderschaftliche Organisation gehabt haben.
Die Wiener Gesellenschaften unterschieden sich in ihren Funktionen kaum von an-
deren Gesellenvereinigungen im deutschsprachigen Raum. Sie bildeten für einen Stadt-
fremden, der ein neu ankommender Geselle ja in der Regel war, eine gewisse soziale und
spirituelle Absicherung. Die Gesellenschaften kümmerten sich im Krankheitsfall um eine
zeitlich befristete finanzielle Versorgung des betroffenen Mitglieds. Die in den Ordnun-
gen des HWOB fast durchgehend auftretende Unterstützungsform war hierbei das Dar-
lehen, die Leihe einer gewissen Geldsumme an den kranken Gesellen; das Geld dafür
wurde aus der Gesellenbüchse vorgestreckt und musste meist innerhalb einer gewissen
Frist zurückbezahlt werden. Gerade ein Krankheitsfall dürfte zu gröberen finanziellen
Einbußen der Gesellen geführt haben, da es mitunter vorgekommen zu sein scheint, dass
die Meister für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Bediensteten keinen Lohn zahlten und
sich auch weigerten, den Kranken zu pflegen. Starb ein Mitglied der Gesellenschaft, so
sorgte diese für ein Begräbnis. Die Kosten dafür wurden der Norm gemäß offenbar meist
aus dem Nachlass des Gesellen beglichen, doch scheint es durchaus üblich gewesen zu
sein, dass eine Bestattung auf jeden Fall von der Gesellenschaft organisiert wurde, auch
wenn die Verlassenschaft des Toten nicht zur Kostendeckung reichte.
Neben dem Recht auf ein ordnungsgemäßes Begräbnis geben zahlreiche Ordnungen
auch einen Hinweis darauf, dass die Gesellenschaften sich allgemein um die Memoria
ihrer toten Mitglieder kümmerten – egal ob diese in Wien oder, sofern dies in Erfahrung
gebracht werden konnte, in einer anderen Stadt verstorben waren. Überhaupt waren die
gemeinsamen Messfeiern der Mitglieder einer Gesellenschaft zentrale Ereignisse im Jah-
resablauf, ein Fernbleiben von diesen Anlässen wurde mit hohen Bußzahlungen belegt.
Neben der heiligen Maria, deren Verehrung des Öfteren in den Ordnungen erwähnt wird,
hatten einzelne Gesellenschaften spezielle Heilige, zu deren Ehren sie Messen feierten.
So war beispielsweise der heilige Eligius Patron der Hufschmiedegesellen oder die heilige
Barbara Patronin der Nadlergesellen. Neben diesen regelmäßigen Messfeiern stand vor
allem die Teilnahme der Handwerker – sowohl der Meister als auch der Gesellen – an der
jährlichen Fronleichnamsprozession im Mittelpunkt der religiösen Anliegen der Zechen
und Gesellenschaften. Eine dem Papierbuchblock des HWOB nachgebundene Fronleich-
namsprozessionsordnung von 1463 unterstreicht nochmals die Wichtigkeit dieses Festes
in Bezug auf die Wiener Handwerker.
Die zum einen Teil religiös, zum anderen Teil sicher auch repräsentativ begründete
Teilnahme an der Prozession war jedoch nicht der einzige Anlass, bei dem die Zechen und
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Title
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Subtitle
- (1364–1555)
- Author
- Markus Gneiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 674
- Keywords
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen