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150 IV. Inhaltliche Aspekte
im Witwenstand verbleibt1054. Bei den Goldschlägern wird 1481 sogar bestimmt, dass die
Witwe die Zeche verliert, wenn sie einen anderen Mann ab demselben irem hanndtwerch –
also wohl einen Handwerker anderen Berufstandes oder aus einer anderen Zeche – heira-
tet; solange sie jedoch im Witwenstand verbleibt, darf sie Gesellen und Lehrlinge behalten
und den Betrieb weiterführen1055. Doch nicht bei allen Handwerken sind solch relativ
lockere, die Wiederverheiratung von Witwen und die Weiterführung des Handwerks be-
treffende Bestimmungen zu finden. Bei den Tuchscherern wird 1429 erlaubt, dass eine
Witwe lediglich ein Jahr die Werkstatt ihres verstorbenen Gatten mit einem Gesellen wei-
terführen darf, danach soll die Werkstatt zugesperrt werden1056.
An den genannten Beispielen ist zu erkennen, dass die im HWOB enthaltenen Be-
stimmungen zu Meisterwitwen einen – zumindest der Norm nach – durchaus freizügi-
gen Umgang mit der Fortführung des Meisterbetriebs abbilden. Genaue Beschränkungen
der Witwenzeit sind – mit Ausnahme der Ordnung der Tuchscherer von 1429 – keine
zu finden. Trotzdem zeigen gerade auch die immer wieder genannten und mit der Wie-
derverheiratung in Verbindung stehenden Vorteile, dass die Fortführung der Werkstatt
durch die Witwe nicht überall uneingeschränkt gerne gesehen war. Im HWOB treten also
als soziale Sicherungsmaßnahmen für die Hinterbliebenen eines verstorbenen Meisters
einerseits das Fortführungsrecht und andererseits die Erleichterung der Wiederverheira-
tung auf, wobei für beide Bereiche zu wenige Beispiele vorliegen, um eine weitreichende
Aussage darüber zu treffen, welche der beiden Maßnahmen nun tatsächlich im Untersu-
chungszeitraum bei den Wiener Handwerkern vorherrschte.
Wie bereits weiter oben im Kapitel angedeutet wurde, genossen die Meistersöhne1057
laut diversen Ordnungen durchaus gewisse Vorteile, zumindest wurden sie – was die Er-
langung des Meisterrechts betrifft – öfters mit Meisterschaftsanwärtern gleichgesetzt, die
eine Witwe oder eine Meistertochter ehelichten. Neben den bereits genannten Bestim-
mungen enthalten auch Ordnungen anderer Handwerke Erleichterungen für die Meister-
söhne. Die Krämer verlangen 1463 von einem kramer sun oder einer tochter bei Zechein-
tritt keine Einzahlung in die Büchse, sondern nur die Erlangung des Bürgerrechts, sollten
diese Krämerei treiben wollen und die Eltern bereits Mitglied der Zeche sein1058. Den Söh-
nen der Kammmacher- und Bürstenbindermeister wird 1472 erlaubt, die Meisterschaft
ohne Anfertigung der Meisterstücke zu erlangen, jedenfalls dann, wenn sie die Lehrzeit
auf dem hantwerch verbracht haben1059. Bei den Goldschlägern wird 1481 bestimmt, dass
ein Meistersohn keine Lehrjahre leisten und auch das in die Zeche gegebene Meisterstück
– eine Goldschlägerform – mit zwei statt mit ansonsten üblichen vier ungarischen Gul-
den ablösen kann1060. Die Ordnung der Kartenmacher von 1525 legt zumindest fest, dass
ein Meistersohn jederzeit als Geselle arbeiten darf und auch Meister werden kann, wenn
er in einer anderen Werkstatt als der seines Vaters gearbeitet hat1061. Bei den Tuch- und
Kotzenmachern findet sich im Jahre 1530 die Bestimmung, dass ein von seinem eigenen
Vater von den Lehrjahren freigesprochener Lehrling nur die Hälfte der üblichen Summe
1054 Siehe Nr. 247 Art. 4.
1055 Siehe Nr. 153 Art. 9; Zatschek, Handwerk 241f.
1056 Siehe Nr. 225 Art. 4; Zatschek, Handwerk 242.
1057 Zu diesen vgl. unter anderem allgemein Wissell, Recht 2 35–41; Kluge, Zünfte 242–244.
1058 Siehe Nr. 293 Art. 5.
1059 Siehe Nr. 96 Art. 3.
1060 Siehe Nr. 153 Art. 5.
1061 Siehe Nr. 348 Art. 3.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Title
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Subtitle
- (1364–1555)
- Author
- Markus Gneiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 674
- Keywords
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen