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Sittlich — Sittlichkeit.
hältnis zur Gesamtheit. Die S. verfolgt ursprünglich bestimmte Zwecke, die
später oft in Vergessenheit geraten; oft bleiben nur Rudimente einer S. (Über-
survivals) zurück und Sitten, die anfangs biologisch oder sozial oder
kulturell zweckmäßig waren, werden später zwecklos oder gar
Auch findet hier eine Art eine Motivverschiebung statt,
etwa mythisch-religiöse durch soziale und sittliche Zwecke ersetzt werden
(vgl. WUNDT, Grundr. d. Psychol.5, 1902, S. 372 ff.; Elemente der Völker-
1912). Die S. ist ein Produkt des Gesamtgeistes, der Wechselwirkung
von Einzelgeistern (s. Völkerpsychologie) und beeinflußt stark das individuelle
Denken, Werten und Handeln. Abhängig ist die Entstehung und Entwick-
lung der Sitten und (laxeren, auf engere Gruppen sich beschränkenden) Bräuche
von der Rasse, dem natürlichen Milieu, der sozialen Struktur, der
historischen Schicksalen. Mythus (Religion) und Kultus sind vielfach Quellen*
von Sitten (vgl. WUNDT, Ethik2, S. 108 ff., 4. A. 1912; System d. Logik HI«,
1908, S. 568 ff.; 1910). Die Ur-Sitte hat sich in
Recht, Sitten im engeren Sinne differenziert. — In einem engeren Sinne ist
soviel wie Gesittung, gute Sitte, Lebensart („savoir das Schick-
liche („bon ton"). — Vgl. LAZARUS, Das Leben der Seele,
IHERING, Der Zweck im Recht, 1894/95, I, 23; II, 242 ff.; PAULSEN, System
der Ethik I5, ff.; TYLOR, Anfänge der Kultur, 1873; Die
geschichtliche Zeit, SPENCER, Principles of Sociology, 1882
H. SCHURTZ, Urgeschichte der Kultur, 1900; TÖNNIES, Die Sitte,
STAMMLER, Die Lehre vom richtigen Recht, 1902. Vgl. Soziologie.
moralisch) bedeutet: 1. alles, was in das Gebiet der
Ethik, der ethischen Wertung fällt, sowohl das Sittlich Gute als das Unsittliche,
Böse; 2. das Sittlich Gute, das dem Sittengesetze, der Sitte
Vgl. Moralisch.
Sittlichkeit ist sowohl (subjektiv) das sittliche Verhalten, die
Gesinnung eines Menschen als (objektiv) das sittliche Sein als ein Bestandteil
des objektiven Geistes (s. d.), als ein Produkt des Gesamtgeistes, verkörpert
sittlichen Relationen, Normen und Institutionen. Von Anfang an ist die S. an.
die soziale Gemeinschaft gebunden, welche zunächst die Menschen
zusammenhält und durch Gewohnheiten und später die Sitte (s. d.) eine gewisse-
Regelung des Verhaltens der Einzelnen zueinander herstellt, während
fremder Gruppen anders begegnet wird („Ameisenmoral"). Aus diesem
Zustande entwickelt sich die eigentliche S.; als Reaktion gegen alles vom.
„Normalen" abweichende oder sich dem geradezu widersetzende Verhalten
entsteht die soziale Norm, welche sich in die Rechtsnorm und in die
Norm spaltet. Die sittlichen Normen (Gebote und Verbote) gründen sich
Billigungen und Mißbilligungen, auf Wertungen von Willenshandlungen und
später auch von Willensintentionen, von Absichten und Gesinnungen,
besonderer Wert für die Zuverlässigkeit der Gemeinschaftsmitglieder
wird; man will nicht bloß gute sondern vor allem gute Menschen.
(Charaktere), man will schließlich den Willen zum Sittlichen, den „guten
selbst, welcher Eigenwert erhält. Sittlich ist zuhöchst der Wille zu
was als Bedingung des Gemeinschaftslebens und der Verwirk-
lichung der höchsten, idealen Zwecke der
schaft gewertet und gefordert wird (vgl. Humanität, Kultur).
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Handwörterbuch der Philosophie
- Title
- Handwörterbuch der Philosophie
- Author
- Rudolf Eisler
- Publisher
- ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN
- Location
- Berlin
- Date
- 1913
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- Size
- 12.7 x 21.4 cm
- Pages
- 807
- Keywords
- Philosophie, Geisteswissenschaften, Objektivismus
- Category
- Geisteswissenschaften