Page - 619 - in Handwörterbuch der Philosophie
Image of the Page - 619 -
Text of the Page - 619 -
Skeptizismus. 619
(von Prüfung, Erwägung) oder ist die
Tendenz des Bezweifeins von Behauptungen, Geltungen, theoretischen oder
praktischen Werten. So gibt es einen religiösen S., welcher jede religiöse
Gewißheit, jeden Glauben an eine Gottheit für problematisch erklärt oder nur
positive Glaubenssätze bezweifelt, einen ethischen S., welcher die Gültigkeit
überkommener moralischer Wertungen bestreitet oder auch überhaupt keine
allgemeingültigen sittlichen Werte anerkennt, endlich den theoretischen S.,
sei es gegenüber bestimmten Behauptungen oder Annahmen der Wissenschaft,
oder gegenüber der Tragweite und Sicherheit wissenschaftlicher Erkenntnisse im
sei es endlich, als erkenntnistheoretisch-metaphysischer
'S., gegenüber der Möglichkeit einer objektiven und sicheren Erkenntnis der
Wirklichkeit überhaupt, entweder bloß des absoluten „An sich" der Dinge,
oder auch des Wesens und der Relationen der objektiven Erscheinungen.
Der logische S., der allerdings selten vorkommt, bezweifelt alle Gewißheit
und Wahrheit, auch die strenge Gültigkeit der logischen Grundsätze (s. Axiom,
Denkgesetz). Dies führt leicht zum totalen und radikalen S. im Unter-
schied vom partiellen und gemäßigten (vgl. R. RICHTER, Der S. I,
S. XIII ff.) und noch mehr bloß methodischen S. als
punkt der Erkenntniskritik. Die radikale es gibt keine Wahrheit und
Gewißheit, hebt sich selbst auf, denn dieser Satz mindestens gilt dem Skeptiker
als wahr und gewiß; sagt er: nein, auch er ist ungewiß, dann ist eben diese
letztere Behauptung wahr und gewiß, usw. ins Unendliche. Die logischen
Grundsätze wiederum kann man nicht ernsthaft bezweifeln, ohne schon bei
der Begründung dieses Zweifels die Gültigkeit derselben vorauszusetzen (vgl.
Denkgesetze). Ebenso lassen sich unsere Erlebnisse als solche nicht be-
zweifeln. Die denkende, logische Verarbeitung des Erlebnisinhalts aber
führt, wenn schon nicht direkt zum absoluten „An sich" des Seienden, doch
zu objektiven, allgemeingültigen Relationen (s. d.), deren in Urteilen über sie
bewußte Gewißheit, bzw. Wahrscheinlichkeit (s. teils empirisch, teils
logisch-methodisch begründet ist, sich festlegen läßt. Die Gründe, die der
S. öfter angeführt hat, fallen für den (s. d.) weg, welcher
zeigt, wie objektive Erkenntnis möglich ist (s. A priori, Axiom, Wahrheit).
Skeptische Äußerungen finden sich schon bei HERAKLIT, XENOPHANES,
PARMENIDES, DEMOKRIT (Sext. Empir., Adv. Mathem. VII, 49, 110, 135 ff.),
bei den Sophisten PROTAGORAS (betreffs der Existenz von Göttern), GORGIAS
(s. Nihilismus u. a.). Gegen den S. treten energisch SOKRATES und PLATON
auf. Eine eigentliche Skepsis tritt erst als Reaktion gegen den metaphysischen
Dogmatismus der Stoiker u. a. auf, und zwar als: 1. Pyrrhonismus (PYRRHON
von von Phlios, PHILON von Athen, NAUSIPHANES von Teos);
2. mittlere und neuere Akademie (ARKESILAOS, KARNEADES); 3. spätere S.
(AENESIDEMUS, AGRIPPA, FAVORINUS, SEXTUS EMPIRICUS). — Nach PYRRHON
ist nichts an sich, sondern nur in Beziehung zu uns und durch Satzung
de xal schön und gut (Diogen. Laert. IX, 61). Die Wahrheit ist
unerfaßbar wir können nur sagen, wie uns etwas erscheint, nicht
wie die Dinge selbst sind. Wir müssen uns des Urteils enthalten (knoxr)), um
unsere Gemütsruhe (dxagagla) zu bewahren. Dies lehrt auch TIMON, nach
welchem wir nichts entscheiden können denn Sinne und Ver-
stand sind unzuverlässig und nichts ist mehr als sein Gegenteil,
welches mit gleichem Grunde verteidigt werden kann
back to the
book Handwörterbuch der Philosophie"
Handwörterbuch der Philosophie
- Title
- Handwörterbuch der Philosophie
- Author
- Rudolf Eisler
- Publisher
- ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN
- Location
- Berlin
- Date
- 1913
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- Size
- 12.7 x 21.4 cm
- Pages
- 807
- Keywords
- Philosophie, Geisteswissenschaften, Objektivismus
- Category
- Geisteswissenschaften