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620 Skeptizismus.
xcov Daß uns etwas so scheint ist nicht zu
nur das „es ist so" ist zweifelhaft. Wir sollen nur sehen, wie die Dinge für
uns sind, wie wir uns ihnen gegenüber zu verhalten haben und was daraus-
folgt (Diogen. Laert. IX, 61 74, 86, 105 ff.; Sext. Empir., Pyrrhon. hypo-
typ. I, 188 ff.; Adversus Mathem. XI, 140). Nach ARKESILAOS gibt
keine Gewißheit, kein Wissen, ja nicht einmal darüber selbst (vgl. Cicero,.
Acad. post. I, 12), daher haben wir uns des Urteils zu enthalten. Für die
Praxis genügt die Wahrscheinlichkeit; ein Kriterium der Wahrheit gibt es
nicht (vgl. Diogen. L. IV, Sext. Empir., Adv. Mathem. VII, 153 f.).
Noch gemäßigter lehrt KARNEADES, der eine Theorie der Wahrscheinlichkeit
(s. d.) gibt Diog. L. 62 ff.). Die späteren Skeptiker stellen
Gründe für die Skepsis auf. Nach AENESIDEMUS gibt es ihrer
die Verschiedenheit der Lebewesen, die V. der Menschen voneinander, die
V. der Sinnesorgane, die V. der Zustände des Individuums, die V. der Lagen,
Entfernungen, Orte, das Vermischtsein des Wahrnehmungsobjekts mit anderen,
die V. der Erscheinungen je nach ihrer Verbindung, die Relativität überhaupt,
die Abhängigkeit von der Anzahl der Wahrnehmungen, die Abhängigkeit von
Bildung, Sitten, Gesetzen, religiösen und philosophischen Anschauungen (Sext.
Empir., Pyrrhon hypot. I, 36 ff.; Diogen. L. IX, 79 f.). AGRIPPA reduziert die
Tropen auf fünf: Widerstreit der Meinungen, Hinauslaufen jedes Beweises ins
Unendliche, Relativität, unbewiesene Voraussetzungen, Zirkelbeweis (Diallele;
Sext. Empir., Pyrrhon. hypot. I, 164 f.; Diog. L. IX, 88 f.). Andere Skeptiker
stellen nur zwei Tropen auf (Sext. Empir., Pyrrhon. hypot. I, 178 ff.) und
SEXTUS EMPIRICUS betont, daß alle Tropen auf die Relativität (s. d.) der Er-
kenntnis hinauslaufen c. I, 39).
Im Mittelalter findet sich wenig von Skeptizismus (ALGAZEL, NIKOLAUS VON
AUTRECOURT u. a.). Gegen ihn wendet sich AUGUSTINUS („Omnis, qui se
. dubitantem intelligit, verum intelligit et de hac re, quam intelligit, certus est.
Omnis igitur, qui sit veritas dubitat, in se ipso habet verum, unde non
dubitet", De vera religione De trinit. X, 1 f.). Das eigene denkende Ich
ist Bedingung alles Erkennens (s. Cogito), dies lehrt später auch DESCARTES,
der sich des methodischen Zweifels (s. d.) bedient. — Die Gewißheit und den Wert
der Wissenschaft und Spekulation bezweifeln zugunsten der religiösen
gewißheit AGRIPPA (De incertudine et vanitate scientiarum, dtsch. 1912), CHARRON
(De la sagesse, 2. 1604), nach die Wahrheit nicht erreichbar
ist, so daß wir uns mit Wahrscheinlichkeit begnügen müssen, SANCHEZ (Quod
nihil scitur, 1649), PASCAL (Pensees, der aber die Prinzipien exakter
(mathematischer) Erkenntnis als gewiß bestimmt und nach dem wir im Besitze
der Wahrheitsidee sind. Weder Dogmatismus noch
nature confond Pyrrhoniens et la raison confond les dogmatistes"). Wir
stecken voller Irrtümer, Sinne und Vernunft täuschen einander wechselseitig.
Wir wissen nichts über die letzten Dinge, aber das Gemüt spricht in uns („Le
coeur a ses raisons que la raison ne connait Im religiösen Glauben
finden wir Ruhe („humiliez vous, raison impuissante"). Den Primat des Glaubens
vor dem Wissen betonen auch LE VAYER (Cinque dialogues, 1671),
FOUCHER (De la philos. 1692), HUET philos. de la faiblesse
de 1723), POIRET, HIRNHAIM (De generis 1676), BAYLE
(Dictionnaire histor. et crit. 1695 f.), LAMMENAIS (Oeuvres, 1836) u. a. Schon
früher lehrt in skeptischer Weise MONTAIGNE („que sais-je?"), der Relativist
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Handwörterbuch der Philosophie
- Title
- Handwörterbuch der Philosophie
- Author
- Rudolf Eisler
- Publisher
- ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN
- Location
- Berlin
- Date
- 1913
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- Size
- 12.7 x 21.4 cm
- Pages
- 807
- Keywords
- Philosophie, Geisteswissenschaften, Objektivismus
- Category
- Geisteswissenschaften