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622 Solidarität — Solipsismus.
WALTER BURLEIGH, PETER VON AQUILA, JOHANNES ANGLICUS, PETRUS
TARTARETUS u.
äußert sich im Gefühl der Zusammengehörigkeit und im
Willen zum Zusammenwirken, zur Kooperation in Kampf, Arbeit, kulturellem
Schaffen, humanem Wirken. Die S. (der Horde, Gruppe, des Stammes,
Volkes) ist ein wichtiger biologisch-sozialer und historischer Faktor und die S.
einer umfassenden, idealen Menschheits- und Kulturgemeinschaft ist das oberste
soziale Ziel. Vgl. MARION, De la morale, DURKHEIM, La divi-
sion du travail social, BOUGLE, Le solidarisme, L. BOURGEOIS, Soli-
1896; T. LABRIOLA, Del concetto teorico della sociale,
GOLDSCHEID, Höherentwicklung u. Menschenökonomie I, 1911. Vgl.
Soziologie, Organismus.
Solipsismus (von ipse, das allein) oder theoretischer
Egoismus (s. d.; bei KANT bedeutet den praktischen Egoismus, Krit. d.
prakt. Vern., Univ.-BibL, S. 89) ist die Lehre, daß alle Objekte, auch das
„fremde Ich", uns nur als Inhalt unseres Ich gegeben sind, daß nur das Ich
des Erkennenden absolut sicher existiert, real ist, daß es vielleicht nichts
anderes gibt als dieses Ich und seine Bewußtseinsinhalte, zu welchen auch die
gehören, die als Inhalte des individuellen Bewußtseins
mäßig auftreten und verschwinden. Auch das fremde Ich ist nach dem
stets nur als ein vom erkennenden Ich vorgestelltes oder gedachtes gegeben,
nur ein Bewußtseinsinhalt unter anderen. — Abgesehen davon, daß das fremde
Ich (s. d.) als solches nie mein bloßer Bewußtseinsinhalt ist, sondern als etwas
gedacht, gesetzt wird, was selbst ein Bewußtseinszentrum gleich mir ist (vgl.
JERUSALEM, Der krit. Idealismus, 1905, S. 47 ff.), muß der S., will er nicht zu
absurden Konsequenzen und Künsteleien gelangen, annehmen, daß das „fremde
Ich" sich innerhalb des Bewußtseins von seinem eigenen Ich im engeren Sinne
unterscheidet. Der S. geht damit aber schon in den gemäßigteren Idealismus
(s. d.) über, nach welchem das einzig absolute Reale nicht mehr das Einzelich
als solches ist, sondern das Bewußtsein (s. d.) überhaupt oder ein universales
Ich, welches außer objektiven Inhalten eine Summe einzelner
Ich-Komplexe einschließt, umfaßt (vgl. z. B. K. HEIM, Psychologismus oder
AntipsychoL, 1902, S. 4 f., 107 ff. und R. VON SCHUBERT-SOLDERN, Gr.
einer Erkenntnistheorie, 1887, S. 83 ff.; Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos.,
30. Bd., 1906). Vgl. Objekt, Realität, Transzendent.
Daß bloß das Ich mit seinen Vorstellungen existieren könnte, nehmen
bloß problematisch-methodisch an PIERRE DESCARTES (Princ.
phüos. I, 4; Meditat. I), MALEBRANCHE (Recherche de la I) u. a.
(vgl. Memoiren von 1713, S. 992). Den S. vertreten — rein logisch,
nicht praktisch — v. SCHUBERT-SOLDERN (S. oben), M. KEIBEL (Wert u.
Urspr. der philos. Transzendenz, 1886, S. 68 ff.) u. a. Nach OSTWALD wäre
ganz konsequent ein „instantaner" S., dem nur die gegenwärtigen Bewußtseins-
inhalte als das Wirkliche gelten; um ihn zu vermeiden, muß der Inhalt unserer
Erfahrung „durch Interpretation und Interpolation" zweckmäßig ergänzt werden
(Annalen der Naturphilos. IV, 1904, S. 141). Nach DRIESCH muß oder kann
die Logik (Ordnungslehre) vom S. ausgehen, ohne aber bei ihm stehen zu
bleiben (Ordnungslehre, 1912). Nach SCHOPENHAUER kann der S. als ernstliche
Überzeugung nur im Tollhause gefunden werden als u. Vorstell.,
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Handwörterbuch der Philosophie
- Title
- Handwörterbuch der Philosophie
- Author
- Rudolf Eisler
- Publisher
- ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN
- Location
- Berlin
- Date
- 1913
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- Size
- 12.7 x 21.4 cm
- Pages
- 807
- Keywords
- Philosophie, Geisteswissenschaften, Objektivismus
- Category
- Geisteswissenschaften