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Weiterung ihrer Macht. Insbesondere zeigt die Geschichte, daß Übel aller Art.
durch Anreizung des Willens immer mehr überwunden oder in den Dienst des
Guten gestellt werden können. Es gibt immer wieder Übel, aber sie können
und sollen zum Quell des Guten, Zweck- und Wertvollen gemacht
werden — das ist die aktivistische „Theodizee" (Meliorismus). Im Kampfe
gegen das (physische, moralische, soziale) Übel erstarkt und entwickelt sich der
Geist und das Reich der Kultur.
Die „Theodizee" (s. d.) wird teils durch den Hinweis auf die
oder Relativität des Übels, oder auf dessen rein „privativen", nicht absolut
positiven (selbständigen) Charakter versucht, teils durch Betonung der Not-
wendigkeit des mit der Endlichkeit der Wesen gegebenen Übels, das von Gott
nicht gewollt, aber „zugelassen" ist, weil es zum Teil mit der Willensfreiheit
zusammenhängt, oder weil es ein Mittel zur Förderung des Guten ist, einen
erzieherischen Wert hat, zur Vollkommenheit des Ganzen beiträgt, u. dgl.
(vgl. Optimismus). Der Pessimismus (s. d.) verlegt das Übel ins Dasein über-
haupt, spricht von einer Schuld, die durch den Willen zum Leben kontra-
hiert wird.
Daß Gott am Übel keine Schuld hat, sondern alles gut geschaffen hat,
betont (wie schon das Alte Testament) PLATON (Timaeus 42 D) und
auch ARISTOTELES lehrt optimistisch. Eine Theodizee geben die
Ein Übel ist eigentlich nur das Laster. Die sogen. Übel sind für das
Ganze notwendig und erhöhen die Vollkommenheit desselben; das Schlechte
liegt nur in den Nebenwirkungen und wird zum Guten gelenkt (SENECA,
Epist. 11; 94, 8; MARC AUREL, In se V, 8; VIII, 35; Diogen.
Laert. VII, 96). Ähnlich lehren PHILON (Leg. allegor. II, 76), PLOTIN
Ennead. III, 2, ff.; IV, 3, 16), die von der — Die
mittelalterliche Philosophie erblickt im Übel nur eine „Beraubung des
Guten" (s. Böse, Privation); es hat nur eine negative Ursache („causa
ciens") und trägt zur Güte des Ganzen bei (AUGUSTINUS, De civitate Dei XI,
18; XVII, 11; THOMAS VON AQUINO, Contr. gent. I, 71; III, 71).
Eine systematische Theodizee begründet LEIBNIZ, welcher metaphysisches,
physisches und moralisches Übel unterscheidet. Ersteres beruht auf der End-
lichkeit der Wesen, denen Gott nicht alle Vollkommenheit geben konnte, ist
durch die bedingt; das physische Übel wirkt als Strafe oder als
Besserungsmittel; das moralische Übel entspringt der Willensfreiheit und wird
von Gott zum Guten gelenkt. Alles Übel ist nur privativ und nur von Gott
„zugelassen", nicht gewollt; es erhöht nur die Harmonie der
macht dieses reicher. Die Übel also nicht Gottes Allmacht, Weis-
heit und Liebe (Theodizee I, § 30 ff.). lehrt W. KING (De origine
Die Relativität des Übels betonen SPINOZA (Eth. IV, prop. XXX;
De Deo II, 4), CUDWORTH, KING U. a. Theodizeen versuchen W. DERHAM
(Physico-Theology, 1713). JOHN RAY, PRIESTLEY, ROBINET (De la nature I,
1), CHR. WOLFF, BILFINGER, PESSING, P. (Von dem u.
den Absichten des Übels, 1786—87), SCHILLER, J. J. WAGNER (Theodizee,
1809) u. a. Nach HEGEL wird in Geschichte das Negative zu einem
„Untergeordneten und Überwundenen" (vgl. WW. IX, 19; vgl. Panlogismus,
Vernunft). Die Überwindung des Übels ferner CHR. KRAUSE,
DORNER, COHEN (Ethik, 1904, S. 427 f.) u. a. Als etwas
bestimmt das Übel SCHOPENHAUER (S. Pessimismus, Wille). — Daß das Übel
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Handwörterbuch der Philosophie
- Title
- Handwörterbuch der Philosophie
- Author
- Rudolf Eisler
- Publisher
- ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN
- Location
- Berlin
- Date
- 1913
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- Size
- 12.7 x 21.4 cm
- Pages
- 807
- Keywords
- Philosophie, Geisteswissenschaften, Objektivismus
- Category
- Geisteswissenschaften