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Tafel LXII.
P R O B E N
Schweizerischer Wappenscheiben.
Die spezifisch schweizerische Sitte der Fenster-
und Wappenschenkung, die im XV. Jahrhunderte be-
ginnend, sich bis in das XVII. Jahrhundert erhalten
hatte, gab in erster Linie die Veranlassung, dass die
Kunst der Glasmalerei in der Schweiz eine Höhe der
Technik erreichte, wie wir solche um jene Zeit auf
anderem Boden kaum nachzuweisen imstande sind. Die
Stände Hessen die Scheiben in Vorrat malen und be-
schenkten sich untereinander sobald irgend ein Neu-
bau, eine Restaurierung oder sonst eine Veranlassung
Gelegenheit zur Schenkung bot. Auf diese Weise ent-
stand ein gegenseitiges Geben und Empfangen, und
die Rats-, Zunft- und Schützenhäuser, die Klöster und
Kirchen, ja selbst die Gasthäuser, die in damaliger
Zeit zu den öffentlichen Gebäuden gezählt wurden,
prangten in dem Farbenschmuck der Wappenscheiben
der dreizehn eidgenössischen Stände. Die Sitte, ge-
malte Scheiben zu verschenken, zuerst von den Ständen
geübt, verallgemeinte sich immer mehr und mehr; eine
Stadt, ein Städtchen beschenkte das andere mit Glas-
bildern und erhielt wieder solche, die Zünfte, die Ge-
sellschaften, die reichen Bürger, ja sogar die Bauern
nahmen an diesem beliebten Brauche Teil und deko-
rierten die Rathäuser, die Klöster, Wallfahrtsorte und
die Häuser des Bürgers und Landmannes. Dieser Ge-
brauch gab der Kunst einen ergiebigen Nährboden.
Viele Künstler beschäftigten sich mit der Glasmalerei,
so waren z. B. in Zürich um das Jahr 1516 zehn, 1568
sogar einundzwanzig, in Schaffhausen um 1610 zwölf
Glasmaler sesshaft. Darunter befand sich manch be-
rühmter Meister dieser Kunst, so Karl von Aegeri,
Christoph und Josias Murer, Nikolaus Bluntschli und
viele andere.
Unsere Tafel bringt zwei solcher Wappenscheiben,
die wir der Publikation »Meisterwerke schweizerischer
Glasmalerei«, herausgegeben vom historisch-antiqua-
rischen Vereine in Winterthur (Ch. Claesen & Comp.,
Berlin) entnommen haben.
Die erste Scheibe zeigt das Wappen der -»von
Lüttishofen«, einem in den Kantonen Zürich und Luzern
sesshaften Adelsgeschlechte. In Rot ein aufwärts fliegen-
der, weisser Fisch. Der Stechhelm trägt als Kleinod
eine wachsende, schwarz-bekleidete Mohrin mit ab-
flatternder, rot-weisser Kopfbinde, an Stelle der Arme
schwarze Löwenfüsse aufweisend. Das Kleinod geht
direkt in die schwarz-weisse Helmdecke über.
Die zweite Glasscheibe enthält das Wappen des
Comthurs des Johanniterordens, Peter Ritter von Engels-
berg, auch Englisberg (Burg und Dorf Englisberg im
Amte Seftingen bei Bern). Die Scheibe, 32*5 cm hoch, befindet sich im Antiquarium zu Bern. Der Schild,
von Gelb über Rot geteilt, enthält oben einen wach-
senden, blauen Löwen. Der gelbe Spangenhelm mit
rotgelber Decke trägt als Kleinod einen, von zwei
blanken Schwertern beseiteten, roten Turnierhut mit
Pelzstulp und gelber Kugel auf der Spitze. Rechts
oben schwebt der Wappenschild desJohanniter-(Malteser)-
Ordens: in Rot ein weisses Kreuz. Die Jahreszahl der
Entstehung der Wappenscheibe, 1410, ist oben am
Rande des Bildes eingetragen. Unten erscheint in
einem Bande die Inschrift: »Fr. (frater) peter • vö • engels-
perg • komedur * diß • huß • 1 ' 4 ' 10.«
Fig. 3. Medaillon^von den Chorfenstern zu Hindelbank, 1521.
Aus derselben Publikation sei noch ein Medaillon
mit dem Wappen der von Erlach von den Chorfenstern
zu Hindelbank, 1521, angeschlossen. (Fig. 3.) Das
Medaillon, 27 cm im Durchmesser, der deutschen Früh-
renaissance angehörig, zeigt in der Mitte auf blauem
Grunde und von grünen Blättern umschlossen den
Wappenschild: in Rot ein weisser Pfahl, belegt mit
einem schwarzen Sparren. In dem mit kleinen Medaillons
und Ornamenten geschmückten Bord ist ober dem
Schilde in einem Bande der Name und die Jahreszahl
angebracht.
Heraldischer Atlas
Eine Sammlung von heraldischen Musterblättern für Künstler, Gewerbetreibende, sowie für Freunde der Wappenkunde
- Title
- Heraldischer Atlas
- Subtitle
- Eine Sammlung von heraldischen Musterblättern für Künstler, Gewerbetreibende, sowie für Freunde der Wappenkunde
- Author
- H. G. Ströhl
- Publisher
- Julius Hoffmann
- Location
- Stuttgart
- Date
- 1899
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 22.6 x 33.6 cm
- Pages
- 284
- Keywords
- Heraldik, Heroldskunst, Wappenkunst
- Category
- Lexika