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Milena
bartlová28
einzigen neueren Werk, das auf quellenkritischer
Basis eigenständige Ergebnisse erzielte. Es han-
delt es sich um zwei Kapitel in dem Buch Iko-
noklasmus – Bildersturm von Norbert Schnitzler,
wo das Hussitentum jedoch als ein Vorläufer-
Phänomen der Reformation des 16. Jahrhunderts
dargestellt und mit einem geschichtswissen-
schaftlichen Methodenrepertoire, d.h. auf der
Grundlage allein von Schriftquellen, untersucht
wird.5 Schnitzlers Einordnung des hussitischen
Ikonoklasmus in einen Rahmen, der vom Prozeß
der Konfessionalisierung und von der Legitimi-
tätskrise der sozialen Ordnung im Spätmittelal-
ter bestimmt ist, bildet einen wesentlichen und
nach wie vor aktuellen Beitrag zum Verständnis
des Phänomens. Gleiches gilt, wenn der Verfas-
ser hervorhebt, Bildersturm stelle ein offenkun-
diges Signum von Häresie in einem generellen
Sinn dar, weshalb die Feinde der Hussiten ihn
auch als ein zentrales Merkmal der hussitischen
Bewegung anführten. Daneben hat Schnitzler
der Forschung aber ein weites Feld der Betä-
tigung überlassen. Hierauf gilt es nun, die
Me thoden der Bildwissenschaft und der „visual
studies“ anzuwenden. Darüber hinaus wäre zu
wünschen, daß das Hussitentum nicht nur als
Vorzeichen späterer Ereignisse gesehen wird,
nämlich als ein Vorläuferphänomen der „echten“
Reformation. Statt in der Tradition protestan-
tischer Geschichtsschreibung Johannes Huß die
Rolle eines „Johannes Prodromos“ (für Luther)
zuzuweisen, ist es angebracht, das Hussitentum
von einem streng historischen Standpunkt aus zu
betrachten und es als eine Erscheinung von eige-
nem Wert und eigener Bedeutung zu verstehen.
Eine Studie, die es immerhin versucht, aus einem einerseits visuellen, andererseits von protestan-
tischer Entelechie unabhängigen Blickwinkel zu
argumentieren, ist die auch nach 35 Jahren noch
wichtige Bearbeitung unseres Themas in der
Dissertation von Horst Bredekamp. Dort wird
der hussitische Ikonoklasmus als die dritte – auf
den frühchristlichen und den byzantinischen
Bildersturm folgende – Erscheinungsform des
christlichen Ikonoklasmus behandelt.6 Obwohl
von einer zeitgebundenen Überschätzung der
methodischen Möglichkeiten des Marxismus
geprägt (eine kritische Besprechung aus offen
konservativer Sicht liegt vor)7, kommt dem Buch
Kunst als Medium sozialer Konflikte eine besonde-
re Stellung zu, nämlich die einer genuin kunst-
geschichtlichen Einlassung auf das Thema. Folgt
man Bredekamp, so steht das christliche Bild im
Hussitentum auf dem Höhepunkt jener Mög-
lichkeiten, die ihm von Beginn an innewohnten,
nämlich eine aktive Rolle im sozialen Drama
zu spielen (bei Bredekamp in einem Drama der
Klassenkämpfe).
So inspirierend Bredekamps gesellschaft-
liche Analyse der Bilderstürme in Antike und
Mittelalter ist, stellen sich heute doch wieder
neue Fragen, auf die mit Hilfe der aktuellen
methodischen Ansätze mediävistischer Bildwis-
senschaft Antworten zu suchen sind. Mehr als
eine mögliche Rolle des Bildes im großen Maß-
stab des Gesellschaftsprozesses interessiert uns
gegenwärtig der, wenn man so will, nahsichtige
Blick: Wie wurde die Funktion des Bildes von
den Zeitgenossen verstanden, wie identifizier-
ten sie den Anteil des Bildes an der rationalen
und emotionalen Erkenntnis, in welchem Sin-
ne war es für sie ein Kommunikationsmedium,
5 N. Schnitzler, Ikonoklasmus – Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln während
des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1996. Vgl. ders., „Faules Holz – Toter Stein“: Thesen zum Bilderkult des
Mittelalters aus ikonoklastischer Perspektive, in: G. Jaritz (Hrsg.), Pictura quasi fictura. Die Rolle des Bildes in der
Erforschung von Alltag und Sachkultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Wien 1996, S. 175–190.
6 H. Bredekamp, Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution,
Frankfurt am Main 1975.
7 P. Schreiner, Rezension von: Bredekamp, Kunst als Medium (zit. Anm. 6), in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 39,
1976, S. 239–244.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur