Page - 36 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Volume LIX
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Milena
bartlová36
selbst bei detaillierter kunstgeschichtlicher Ana-
lyse nur schwer von der ursprünglichen materi-
ellen Substanz zu unterscheiden, manchmal wer-
den Reparaturen und Ergänzungen erst durch
eine restauratorische Untersuchung aufgedeckt
(Abb. 1-3). Wo Kirchen, Burgen oder Klöster in
den Hussitenkriegen tatsächlich untergingen,
war dies eine Folge von Besitzerwechseln im
Zug der revolutionären Ereignisse; daher hatten
in diesen Fällen Mittel, Energie und Gründe
für einen Wiederaufbau gefehlt. Dafür wurden
die Ruinen zu Reservoirs für hochwertiges Bau-
material. Trotzdem gibt es monumentale Stein-
bauten, wie z.B. das Kloster in Panenský Týnec/
Jungfernteinitz, die selbst nach 600 Jahren nicht
vollständig abgebrochen sind.
Der Blick auf den hussitischen Bildersturm
wird durch diese Überlegungen gleichzeitig ver- engt und geschärft. Ähnlich wie man bei der Bil-
derverehrung und religiösen Bildpraxis zwischen
einer privaten Sphäre und der öffentlichen Sphäre
der Gemeinschaft unterscheiden kann, so können
wir auch bei der praktischen Ablehnung und Zer-
störung von Bildern zwischen den Taten von Indi-
viduen und denen ganzer Gruppen differenzieren.
Gemeinsam ist ihnen das Wesen einer öffentlich
demonstrierten Geste. Von der Chronologie her
handelte es sich zunächst nur um das Tun gebilde-
ter Einzelner, die es für notwendig hielten, durch
ihr Handeln eine Wahrheit zu bekunden, zu der
sie auf theoretischem Weg gelangt waren. Auf sol-
ches treffen wir vom Beginn der reformistischen
Kritik an der Kirchenpraxis an, in Böhmen also
bereits in den achtziger Jahren des 14. Jahrhun-
derts. Der Priester Matthias Jakobi von Kapliz,
der von der Diözesansynode 1386 wegen fehlen-
der Ehrerbietung gegenüber religiösen Bildern
und wegen der Anstiftung zu ihrer Zerstörung
verurteilt wurde, war ein Schüler des Matthias
von Janow. Der Delinquent wurde veranlaßt, die
Aussage zu widerrufen, der zufolge er auf dem
Holz der Statue der Jungfrau Maria oder eines Hei-
ligen seine Erbsen koche.29 Vermutlich beschreibt
diese Formulierung noch keine reale Handlung,
schließt ihr Spott doch an die Stellen bei Jesaja
(44, 16) und Weisheit (13, 10–17) über die Pro-
duzenten von Holzidolen an; es handelt sich um
Texte, die daneben ein anschauliches Beispiel für
die oben erwähnte Verfertigung des Klischees
vom feindlichen Götzendiener als einem naivem
Dummkopf liefert. Unabhängig vom Prager Fall
sagte der englische Lollarde William Smith 1382
in Leicester dasselbe aus,30 ein Beleg mehr für die
Virulenz des biblischen Topos. Wie schon Anne
Hudson gezeigt hat, wird darüber hinaus auch
etwas vom Charakter der Beziehung zwischen
Hussitentum und Lollardenbewegung deutlich:
Trotz erwiesener Kontakte handelte es sich um
parallele Erscheinungen, die einander keineswegs
1: Fragment eines Vesperbildes, Pläner Kalkstein,
ca. 1400, in der Goldenen Gasse an der Prager Burg
gefunden. Die Skulptur ist vermutlich von den Hussiten
zerbrochen worden.
29 J. V. Polc/Z. Hledíková (Hrsg.) Pražské koncily a synody předhusitské doby, Prag 2002, S. 247.
30 A. Hudson, The Premature Reformation. Wycliffite Texts and Lollard History, Oxford 1988, S. 302–303.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur