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der Bildersturm der böhmischen hussiten 39
Wilhelm Durandus und von der theologischen
Begründung bei Thomas von Aquin. Für diese
überwog der Nutzen der Bilder: Einerseits waren
sie didaktische Werkzeuge christlicher Bildung,
andererseits stellten sie eine Kommunikations-
verbindung zwischen den Gläubigen und dem
„Himmel“ her. Das „Götzendienst“-Risiko nahm
die Kirche in Kauf, überzeugt wie sie war, daß
sie als Kirche über das geeignete Gerät zur siche-
ren Handhabung der Bilder verfügte. Wenn die
böhmischen Reformatoren in der Kirche selbst
das faule Nest des Antichrist sahen, blieb ihnen
nichts anderes übrig, als die nützlichen Funktio-
nen der Bilder aufzugeben und abzulehnen.
Das Jahr 1419 trennt nicht die theoretische
Ikonophobie vom praktischen Ikonoklasmus
(d.h. die Anleitung dazu von der Durchfüh-
rung), sondern die Reformbewegung der Gelehr-
ten, Studenten und Prediger von der politischen
Revolte. Im Rahmen der Revolte verwandeln
sich die Gesten von Individuen in eine Geste
der Gemeinschaft. Die Bilder werden von den
Massen attackiert und zerstört, und die Zeitge-
nossen sehen darin ein Mittel zur Veränderung
der Gesellschaft, sie verstehen es als revolutionä-
re Tat. Dabei geht es vor allem um Säuberung:
um das Entfernen der Zeugnisse einer alten,
brüchigen Kultur, so daß am freigeräumten Ort
eine neue Kultur entstehen kann, eine reine und
arme Kirche mit neuer Liturgie und Spirituali-
tät. Es liegt auf der Hand, daß die Kunstwerke
auch deshalb Angriffe auf sich zogen, weil sie als
Ausdruck elitärer Kultur und als Prestigeobjekte
gesehen wurden. So formulieren mehrere nicht
weiter spezifizierte Nachrichten: Ihnen zufolge
zerstörten die Hussiten den Schmuck der Altä-
re, weil diese dem Götzen Mammon statt dem einzigen und wahren Gott geweiht waren.33 Mit
dieser sozialen Revolutionsgeste markiert der
Ikonoklasmus der Hussiten den Beginn einer
Tradition, die zur Französischen Revolution
führen sollte und schließlich zur Sprengung der
Buddha-Statuen in Bamiyan durch die afgha-
nischen Taliban. Wie diese jüngeren Varianten
schließt auch der hussitische Revolutionsiko-
noklasmus eine weitere Intention ein, die wir
an konkret belegten Fällen nachweisen können.
Hauptquelle ist Laurentius von Březová, dessen
Hussitische Chronik aus den zwanziger Jahren
Ereignisse, deren Augenzeuge er gewesen war,
festhält und interpretiert. Obwohl mit der hus-
sitischen Revolte grundsätzlich einverstanden,
ist seine Haltung dort distanziert und kritisch,
wo er es mit Gewalttaten und mit radikalen
Störungen der sozialen Ordnung und der litur-
gischen Überlieferung zu tun bekam. Von ihm
erfahren wir, daß ganz zu Beginn der Revolte –
im September 1419 – die Massen die königlichen
Grabmäler im Kloster von Zbraslav/ Königsaal
zerstörten (einschließlich des frischen Grabs von
König Wenzel IV.), ebenso die im Voraus errich-
tete Gruft des damals noch lebenden Arztes und
ehemaligen Prager Erzbischofs Siegmund Albich
von Mährisch Neustadt/ Uničov in der (heute
abgerissenen) Kirche der heiligen Jungfrau Maria
an der Lache in der Prager Altstadt und schließ-
lich auch das luxuriöse Gestühl und andere
Ausstattungsstücke in der Michaeliskirche (von
deren mittelalterlicher Gestalt nichts mehr erhal-
ten ist), welche die Altstädter Stadträte bei ihren
Gottesdiensten benutzten.34 In diesen Fällen
handelt es sich um kein programmatisches Ent-
fernen illegitimer religiöser Bilder, sondern um
Attacken auf die loci communitatis des Feindes.35
33 F. Palacký (Hrsg.), Documenta Magistris Joannis Hus, vitam, doctrinam, causam in constantiensi concillo actam
et controversias de religione in Bohemia annis 1403–1418 motas illustrantia, Prag 1869, S. 633–636 (Brief Laurentius
von Březová an Wenzel Koranda).
34 J. Emler (Hrsg.), Laurencius de Brezova, Chronicon hussitarum. Fontes rerum bohemicarum, V, Prag 1893, S.
329–534.
35 Zu diesem Begriff vgl. V. Turner/E. Turner, Image and Pilgrimage in Christian Culture, New York, 1978, beson-
ders S. 145.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur