Page - 60 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Volume LIX
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giovan battista
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Wenn mit Brief vom 1. August 1562, den
Lorenzo Mariottini aus Rom an Leonardo
Buonarroti in Florenz richtete, bei einem Schnit-
zereiexperten Werkzeug für diese Skulptur be-
stellt wurde, so handelt es sich um einen weite-
ren Beleg für ein nur gelegentliches Arbeiten des
betagten Michelangelo in Holz. Nicht er selbst
fordert bestimme Werkzeuge an, sondern er de-
legiert die Auswahl an einen Fachmann, wie in dem gleichen und gleichzeitig ersten Brief, der
auf das Werk bezug nimmt, nachgelesen wer-
den kann: M(essere) vorebe fare umo crocifisso di
lengnio e che vorebe che voi li mandasi tuti queli
feri che per simile opera ocorano, e che domandiate
costì a qualcuno del mestieri, c[i]oè imtag[l]iatore
di fiure di leng[n]iame. E fateli fare beli e buoni e
mandateli quamto prima.29
29 Barocchi/Loach Bramanti/Ristori, Il carteggio (zit. Anm. 22), S. 126.
30 Beispiele von Zuschreibungen sind das Kruzifix aus San Rocco in Massa und das einer Privatsammlung, vgl.
dazu A. Parronchi, Il Crocifisso di Michelangelo già in S. Spirito, in: Antichità viva 5–6, 1965, S. 35–43; Acidini
Luchinat, Michelangelo scultore (zit. Anm. 26), S. 32–33.
31 Vgl. G. Gentilini (Hrsg.), Proposta per Michelangelo giovane. Un Crocifi
sso in legno di tiglio, Ausstellungskata-
log, Florenz, Museo Horne, 8.05.2004–4.08.2004, Turin 2004.
32 Ablehnend reagierten Margrit Lisner und Francesco Caglioti. Barocchi hält das Kruzifix für „un’opera di rispettabile
serialità tardoquattrocentesca, legata ad una alta tradizione di intaglio ligneo“. Lisner schreibt es Andrea Sansovino
zu. Francesco Caglioti, der sich als einziger ausführlich mit den stilistischen und qualitativen Aspekten des kleinen
Kruzifixes des Antiquars Gallino auseinandersetzt, bestreitet, m.E. zu Recht, daß es sich um ein Werk von exzeptio-
nellem Anspruch handle, wobei er den seriellen Charakter sowie die Schwäche in der Ausführung einiger Details
hervorhebt, etwa den unbestimmten Gesichtsausdruck oder die grobe Umsetzung der Haare. Vgl. P. Barocchi,
Politica e belle arti, in: Il Venerdì di Repubblica 1088, 2009, S. 33; M. Lisner, Osservazioni sulla mostra “Proposta
per Michelangelo giovane” al Museo Horne di Firenze: opera di Michelangelo o di Andrea Sansovino?, in: Arte cri-
stiana 825, 2004, S. 421–426; F. Caglioti: L’opera al Diocesano: „Quel Crocifisso non è di Michelangelo. Vi spiego
perché“, in: Corriere del Mezzogiorno vom 17. September 2009, S. 6; F. Caglioti, Il ‘Crocifisso’ ligneo di Donatello
per i Servi di Padova, in: Prospettiva 130–131, 2008, S. 101.
EINE JÜNGST GESCHEHENE ZUSCHREIBUNG
Von dem Namen Michelangelo geht immer wie-
der Faszination aus, wenn es gilt, Holzkruzifixe
zuzuschreiben.30 In jüngster Zeit sorgte die Attri-
bution eines kleinen Kruzifix, das inzwischen im
Museo del Bargello (Florenz) untergebracht ist,
für großes Aufsehen; der Turiner Kunsthändler
Giancarlo Gallino verkaufte es dem italienischen
Staat, nachdem es zuvor in einer Ausstellung im
Museum Horne (Florenz) gezeigt worden war
(Abb. 9). Anläßlich der Ausstellung ist ein Ka-
talog erschienen, in dem mit Nachdruck und
vom Stil her argumentierend auf Michelangelo
als Urheber verwiesen wird.31 Dies fand teils Zu-
stimmung, aber es gab nicht wenige Forscher, die der Versuch irritierte.32 Im Folgenden werde
ich vor allem auf die Ausführungstechnik einge-
hen, die mit Michelangelo schwerlich vereinbar
ist. Eine stilistische Anmerkung nur sei gestat-
tet: In einem Vergleich mit dem Gekreuzigten
aus Santo Spirito, der eine zarte Wiedergabe der
Anatomie und eine originelle Haltung der Bei-
ne erkennen läßt, weist die Figur aus dem Besitz
des Antiquars Gallino eine kräftige, fast überbe-
tonte Anatomie besonders der Beinmuskulatur
auf, wobei die Beine eine eher geläufige Stellung
einnehmen. Das zugrundeliegende anatomische
Prinzip erweist sich somit als völlig verschie-
den. Trotzdem wurde für das Kruzifix im Bar-
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur