Page - 76 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Volume LIX
Image of the Page - 76 -
Text of the Page - 76 -
eCKHARD
lEUSCHNER76
bleibt die Tatsache eines für das Pitti-Bild ge-
suchten Anklangs an eine habsburgische Ikono-
graphie. Dies zeigt unter anderem eine zeichne-
rische Vorstudie, in welcher der Künstler noch
eine stehende Venus und einen Tugendberg mit
Tugendtempel projektierte, den die schwebende
Minerva ihren zur Liebesgöttin zurückblicken-
den Schützling erklimmen läßt.28 Cortona mag
sich von der Idee, den Jüngling zu Fuß den Tu-
gendberg erklimmen zu lassen, abgewandt ha- ben, weil das Bergmassiv zu dominant für eine
Decken malerei gewesen wäre, oder auch des-
wegen, weil er im Deckenfresko eines anderen
Raums, der Sala di Giove, einen Aufstieg des in-
zwischen gereiften Helden in den Olymp darstel-
len wollte.29 Das von Cortona dargestellte Schwe-
ben der Protagonisten (nicht aber von Venus und
ihrer Gefährten) darf man jedenfalls als wesent-
liche Weiterentwicklung der Tugend-Laster-Wahl
bezeichnen. Zwar waren Flugbewegungen alle-
gorischer Figuren u.a. in einigen allegorischen
Konstellationen der von Cortona gestalteten
Decke des Salone Barberini vorgebildet.30 Doch
hatten sich zumindest in Rom Darstellungen im
Umkreis von Tugend-Laster-Konstellationen bis
dato ausgesprochen statisch gezeigt – selbst dann,
wenn sie, wie die berühmte „Wahl des Herku-
les zwischen Tugend und Laster“ von Annibale
Carracci für den Camerino Farnese in Rom, zur
Anbringung an der Decke vorgesehen waren.31
Woher also kam die Anregung für das, was
man Pietro da Cortonas Revision und Dynami-
sierung eines ihm vorliegenden eingeführten Tu-
gend-Laster-Schemas nennen könnte? Einerseits
ist darauf hinzuweisen, daß schon im späten 16.
Jahrhundert in den Niederlanden ähnliche alle-
gorische Darstellungen mit lebhaft ausagierten
Antagonismen aufgekommen waren – etwa in
einem Stich von Jan Wierix nach Johann Martin
Stella (Abb. 9), der Minerva dabei zeigt, wie sie
einen talentierten, aber mittellosen jungen Mann
aus den Klauen der Armut zu ziehen versucht.32
Andererseits muß Cortona, gemäß seiner künst-
lerischen Ökonomie, in Nachbarthemen wie der
9: Jan Wierix nach Johann Martin Stella, Allegorie auf
die Bemühungen der Jugend um den Aufstieg zum Ruhm,
Kupferstich
28 Campbell, Pietro da Cortona (zit. Anm. 20), Abb. 29.
29 Zur Sala di Giove vgl. Campbell, Pietro da Cortona (zit. Anm. 20), S. 127–133.
30 Vgl. im Salone Barberini u.a. die bei Herkules schwebenden Personifikationen von Concordia und Abundantia (J.
Beldon Scott, Images of Nepotism. The Painted Ceilings of Palazzo Barberini, Princeton 1991, Fig. 86).
31 Zur „Herkuleswahl” im Camerino Farnese vgl. zuletzt C. Volpi, Odoardo e il Camerino Farnese. „Virtù politica” o
„Virtù privata”, in: M. G. Bernardini (Hrsg.), Studi di storia dell’arte in onore di Denis Mahon, Mailand 2000, S.
81–94; F. Mozzetti, Il Camerino Farnese di Annibale Carracci, in: La culture scientifique à Rome à la Renaissance
(Mélanges de l’École francaise de Rome 114, 2002), S. 809–836.
32 Vgl. J. Van der Stock/M. Leesberg (Hrsg.), Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts
1450–1700, Bd. LXVI: The Wierix Familiy, Part VIII, Rotterdam 2004, S. 122.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur