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walter jürgen
Hofmann136
nen niedergelegt hatte.35 Sie liefen darauf hinaus,
die exekutiven Befugnisse des Reichs gegenüber
dem Kaiser zu stärken und der Reichshofkanzlei,
an deren Spitze der Kurfürst als Reichserzkanzler
stand und deren Vorsteher in Wien der Reichsvi-
zekanzler war, so viele Kompetenzen zusätzlich zu
übertragen, daß sie sich zum Machtzentrum von
Kaiser und Reich aufgeschwungen hätte.36 Mit
solchen Ambitionen hatte die vom Dotationsde-
kret in den Vordergrund geschobene Wahlkapitu-
lation nichts im Sinn.37 Ihre Herausstellung diente
vor allem dazu, die verfänglichen Hintergründe
der Dotation zu camouflieren. Der Aufstieg der
Reichskanzlei ginge auf Kosten sowohl der Öster-
reichischen wie der Böhmischen Hofkanzlei, die
hinfort nur noch „per Archiducem“ oder „per Re-
gem“ expedierten. Das Reich aber wäre von der
reformierten Reichshofkanzlei aus geführt und
beherrscht worden.38
Daß Karl derartige Vorbedingungen nicht
hinnehmen konnte, liegt auf der Hand. Noch
vor seiner Kür zum Kaiser wäre sein Kaisertum
von Grund auf geschwächt. Von ihm aus war
alles zu tun, um dieses Ansinnen zu eliminie-
ren. Die geheimen Unterredungen zogen sich
so lange hin, daß sich sogar der Termin für die
Kaiserwahl verschob. Bisher war der 1. Oktober
1711 vorgesehen, Karls 26. Geburtstag.39 Indes
wurden die heimlichen Abmachungen erst am 11. Oktober unterzeichnet,40 erst das ebnete den
Weg zum kaiserlichen Wahlgeschäft, das sofort
tags darauf am 12. Oktober erfolgreich zu Ende
ging. Das wesentlichste Zugeständnis an Lothar
Franz neben seiner „Belohnung“ war eine Auf-
wertung der Stellung des Reichsvizekanzlers, der
künftig „zu allen hofconferencien und ceremo-
nialsachen ohnweigerlich gelassen und gezogen“
werden mußte.41 Dadurch wuchs ebenso der
Einfluß des Reichserzkanzlers in Wien. Wei-
ter wurde vereinbart, die Zuständigkeit für die
Rechtssachen aller Untertanen und Beamten des
Reichs bei der Reichshofkanzlei anzusiedeln.42
Die Ausfertigung des Dotationsdekrets, in dem
von all dem nichts steht, bildete am 14. Okto-
ber 1711 unter Wahrung der Förmlichkeiten den
Beschluß.
Allegorie ist gestalteter Hintersinn. Ihre Auf-
führung erfolgt auf offener Bühne, doch das,
worum es geht, spielt dort nicht. Ihm ist eine
verhohlene Wirkungsstätte bereitet, die nicht
vor aller Augen liegt, sondern insgeheim Geltung
erlangt. Gleich einem unaufgelösten Rest bleibt
das, worauf es ankommt, im Hintergrund und
ist von seiner vordergründigen Darbietung ge-
schieden, die als Allegorie sich darstellt. Im Akt
ihrer Wahrnehmung verbreitet sie den Anschein,
als ob alles von Bedeutung wäre und sich dazu
schickte, einen verborgenen, aber auffindbaren
behandelt von Schröcker, Patronage (zit. Anm. 11), der sogar davon spricht, daß Korruption „nahezu verfassungs-
mäßig zum politischen System der Zeit“ gehörte (S. 5) und „wohl auch institutionell“ bedingt war (S. 183).
35 Hantsch, Reichsvizekanzler (zit. Anm. 5), S. 156.
36 Ausführlich ebenda, S. 155–159.
37 Hofmann, Pommersfelden (zit. Anm. 4), S. 28.
38 Ebenda, S. 26–28.
39 Q 1583 = 253 a. Auf Veranlassung von Lothar Franz sollte die Grundsteinlegung für sein neues Schloß sogar „auf
den vorgesezten wahltag“ des neuen Kaisers fallen. Sie wurde in Pommersfelden am 1. Oktober 1711 auch festlich
begangen, aber ohne den Bauherrn, der wegen seiner Wahlobliegenheiten verhindert war, Q 254 und Hofmann,
Pommersfelden (zit. Anm. 4), S. 31.
40 Hantsch, Reichsvizekanzler (zit. Anm. 5), S. 158.
41 Zitat nach Hantsch, Reichsvizekanzler (zit. Anm. 5), S. 158.
42 Ebenda, S. 158. Zu fragen ist, ob die Erbauung der neuen Reichshofkanzlei bei der kaiserlichen Hofburg in Wien,
wie sie von Lothar Franz zusammen mit Friedrich Karl nach Verkündigung der Pragmatischen Sanktion seit dem
Jahr 1721 vorangetrieben wird, von solchen Reformvorhaben aus dem Kreis der obersten Repräsentanten des Reichs
ausgelöst worden sein könnte.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur