Page - 159 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Volume LIX
Image of the Page - 159 -
Text of the Page - 159 -
der guten Mutter ... dem besten Vater 159
eigenwillig komponierten Zeichnung können
die beiden jungen Frauen das Bündnis von Marie
Christine und Isabelle verkörpern, während der
alte Mann sowohl durch sein Geschlecht als auch
durch das Alter den Kontrapunkt darstellt. Sein
Alter wirkt wie das überkommene, traditionelle,
retrospektive Moment im Gegensatz zu der sich
abwendenden und davoneilenden weiblichen
Jugend. Und sein Geschlecht wird von Isabella
in ihrem „Traité sur les hommes“ einer wahrhaft
kritischen Analyse unterzogen, in der sie den
Mann als unnütz und unvernünftig deklariert.
Sie läßt keine Zweifel daran, daß sie mit Män-
nern nichts anfangen kann und deren Unter-
drückung als ungerechtes Joch empfand.18 Marie
Christine arbeitet auch in diesem Bild nach Vor-
lagen. Der alte Mann ist ein beliebter Typus bei
Rubens, der ihn mehrfach in seinen Bildern ver-
wendet. Eine frühe Zeichnung in der Albertina
ist in der Haltung sehr ähnlich.19 Die beiden
Mädchen kommen in abgewandelter Form auch
immer wieder bei Rubens vor.20 Marie Christine
hat versucht, eine eigene Komposition zu erstel- len, indem sie an Rubenszeichnungen orientierte
Köpfe zu einem Bild addiert. Dabei sind ihr al-
lerdings die Hände ziemlich mißlungen. Trotz-
dem ist es für eine Dilettantin eine große Leis-
tung, hat sie doch nur das Abzeichnen gelernt,
nicht aber das Komponieren. In der Zeichnung
steckt viel Gedankenarbeit, um mit einem spre-
chenden Motiv ihre Freundin zu erfreuen.
Ein gezeichnetes Geschenk an ihre Mutter
Maria Theresia als Trost in einer besonders
schweren Zeit ist in einem Dankesbrief der Kai-
serin belegt: Das hübsche Bild und Ihr reizender
Brief waren sehr aufmerksam und ließen mich eini-
ge Augenblicke meine entmutigend Lage vergessen;
ich weiß diese dankbar zu schätzen. Das erwähn-
te Bild ist leider nicht mehr nachweisbar. Maria
Theresia schrieb diese Zeilen im Dezember 1762,
als die 12jährige Johanna Gabriela mit Blattern
im Sterben lag. Währenddessen waren alle ande-
ren Familienangehörigen voneinander getrennt,
um durch diese Quarantäne eine weitere An-
steckung zu vermeiden.21
Die Schwester: Maria Clementine
(24. April 1777 – 15. November 1801)
Die Tochter von Kaiser Leopold II. von
Österreich und der Prinzessin Maria Ludovica
von Spanien war eine Schwester von Franz I.,
der schon 1784 aus Italien, wo er mit seinen Ge-
schwistern aufgewachsen war, nach Wien ging.
Nach dem Tod ihrer Eltern, Kaiser Leopold und
Maria Ludovika, die beide 1792 starben, wurden
die jüngeren Geschwister am Wiener Hof unter Franz I. erzogen. Maria Clementine heiratete am
25. Juni 1797 in Foggia Francesco I. di Borbone,
den späteren König von Neapel-Sizilien. Sie starb
im November 1801 an den Folgen einer Geburt.22
Von Maria Clementina stammt eine Bleistift-
zeichnung mit dem Profilbild einer trauernden
Frau, die vor einem Baum stehend eine Urne
umarmt (Abb. 3). Das Bild ist nicht datiert,
18 Tamussino, Isabella (zit. Anm. 16), S. 206–207.
19 Albertina, Inv. Nr. 8265, vgl. E. Mitsch (Hrsg.), Die Rubenszeichnungen der Albertina. Zum 400. Geburtstag,
Ausstellungskatalog, Wien, Graphische Sammlung Albertina, 30.03.1977–12.06.1977, Wien/München 1977, Kat.
Nr. 4. Für die Hinweise auf die Rubenszeichnungen danke ich Hofrat Dr. Karl Schütz.
20 Z.B. in den Vorzeichnungen des Ildefonso-Altares wie auch in Blätter der Albertina, Inv. Nr. 8270, 8281, 8272,
Mitsch, Rubenszeichnungen (zit. Anm. 19), Kat. Nr. 49-51.
21 Pangels, Kinder Maria Theresias (zit. Anm. 13), S. 391.
22 Zu der jung verstorbenen Marie Klementine gibt es fast keine Informationen, vgl. T. Leitner, Habsburg verkaufte
Töchter, Wien 1987, S. 207, 214 und 220.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur