Page - 185 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Volume LIX
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Kann Andy Warhol tiefgründig sein?
Be-faßt
man sich mit den Selbstbildnissen des
Künstlers, ist es beinahe unmöglich, dieser Frage
zu entgehen, die mit der in der Literatur- und
Kunstwissenschaft gleichermaßen immer wieder
kontrovers diskutierten Problematik der Rele-
vanz der Intention des Autors für die Interpre-
tation seiner Werke eng verknüpft ist1. Motive
wie der Totenschädel in der Selbstbildnisserie von 1978 provozieren sie geradezu. Doch ange-
sichts der Tatsache, daß Andy Warhol in seinen
Selbstbildnissen auf sehr viele der gängigen Iden-
tifikationsmuster von Künstlern seit der frühen
Neuzeit zurückgegriffen hat, relativiert sich
die Aussagekraft solcher Rückgriffe. Nicht nur
das im 19. Jahrhundert von Malern wie Arnold
Böcklin oder Lovis Corinth verwendete Vanitas-
Motiv des Totenschädels, das sich auf Künstler-
EIN POP-KÜNSTLER ALS MEDUSA?
BEGEGNUNGEN MIT ZWEI SELBSTBILDNISSEN
VON ANDY WARHOL
Iris Wien
Für zahlreiche Anregungen sowie die kritische Lektüre zweier früherer Versionen des Beitrags danke ich herzlich
Hans Aurenhammer, Henning Engelke, Magdalena Nieslony, Dieter Schwarz und Anne Sudrow.
1 Als Kriterium der Validität der Interpretation wurde die Intentionalität, also die Abhängigkeit des Erfolgs der In-
terpretation von der vom Autor intendierten Bedeutung des Werkes 1946 von Monroe C. Beardsley und William
K. Wimsatt in ihrem Artikel „Intentional Fallacy“ vehement zurückgewiesen, (erstm. erschienen in: The Sewanee
Review 54, 1946, eine überarbeitete Fassung erschien in: W. K. Wimsatt, The Verbal Icon. Studies in the Meaning
of Poetry, Lexington 1954, S. 3–18). Beardsley und Wimsatt wandten sich gegen den Biographismus zeitgenössi-
scher Literaturwissenschaft und betonten statt dessen, daß die Bedeutung des Werks allein aus dessen semanti-
schen und syntaktischen Elementen zu erschließen sei. Sie hoben, formalistischen Interpretationsansätzen nahe
stehend, somit die Autonomie des Werkes hervor. Weitere Kritik erfuhr das Konzept von strukturalistischer Seite,
etwa durch Roland Barthes, aber auch durch Jacques Derrida und Umberto Eco. Hier ist nicht der Ort, die Dis-
kussion zu Intentionalität und Autorschaft detailliert zu resümieren, verwiesen sei hierzu auf die Anthologien von
F. Jannidis/G. Lauer/M. Martinez/S. Winko (Hrsg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen
Begriffs, Tübingen 1999 sowie F. Jannidis (Hrsg.), Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000. Auch in
der Kunstgeschichte wurde die Frage der Bedeutung der Autorintention für die Interpretation von Kunstwerken
intensiv diskutiert, wobei hier Versuche, Intentionalität durch ein erweitertes Verständnis des Konzeptes zurück
gewinnen, hervorgehoben werden sollen, so schon Erwin Panofsky in seiner Beschäftigung mit Alois Riegl in „Der
Begriff des Kunstwollens“ [erstm. erschienen 1920], wiederabgedruckt in: E. Panofsky, Aufsätze zu Grundfragen
der Kunstwissenschaft, H. Oberer/E. Verheyen (Hrsg.), Berlin 1964, S. 33–47, M. Baxandall, Patterns of In-
tention: On the Historical Explanation of Pictures, New Haven/London 1985, daran anschließend D. Summers,
Intentions in the History of Art, in: New Literary History 17, Nr. 2, 1986, S. 305–321. Zu fragen ist jedoch, ob dem
radikalen Zurückweisen der Intentionalität durch den Modernismus (Duchamp, Surrealismus, Dada) tatsächlich
mit einem kontextuell erweiterten Konzept der Intentionalität begegnet werden kann und ob sich das Konzept
durch diese Erweiterung nicht aufzulösen beginnt und seine Aussagekraft einbüßt. Zudem scheinen Versuche der
Rekonstruktion von Intentionen bei der Deutung hauptsächlich solche Kontexte, die sich in Sprache übersetzen
lassen, zu bevorzugen. Vgl. hierzu O. Bätschmann, Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik: die Aus-
legung von Bildern, Darmstadt 1984. Gibt man andererseits das Konzept der Intentionalität ganz auf, dann wäre
nach Gary Shapiro das beste Kunstwerk, dasjenige, das unendlich empfänglich für alle möglichen Interpretationen
wäre, so wie ein Rorschach-Test. G. Shapiro, Intention and Interpretation in Art: A Semiotic Analysis, in: The
Journal of Aesthetics and Art Criticism 33, Nr. 1, 1974, S. 33–42.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur