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eIN pOP-KÜNSTLER ALS mEDUSA? 189
In der langen Reihe von Warhols Selbstbildnis-
sen, die für die Ausstellung zusammengetragen
wurden, sah ich mich vor den beiden kleinfor-
matigen Werken auf silbernem und goldenem
Grund unmittelbar nicht nur vom Künstler in
den Blick genommen, sondern auch dem furcht-
baren Anblick des abgeschlagenen Hauptes der
mythischen Figur der Medusa ausgesetzt, deren
schrecklicher Blick – selbst noch nach ihrem
Tod – alles Lebendige erstarren läßt. Ein helles
Irispaar starrte mich aus dem tiefen Schwarz der
Augäpfel an, das sich, durch den hellen schmalen
Rand der Augenlieder, kaum von der sich an-
schließenden dunklen Wangenpartie und Stirn
abhob.
Die sich schon hier andeutende zirkuläre
Struktur der Selbstbildnisse, in die der Betrachter
durch die vollkommene Frontalität des Gesichts
hineingezogen wird, ist für die Schwierigkeiten,
die sich bei der Interpretation einstellen, mitver-
antwortlich. Doch sind diese Schwierigkeiten
nicht nur bildstrukturell zu erklären. Sie werden
zusätzlich gesteigert durch den Widerspruch, der
sich zwischen einer intuitiv-unmittelbaren Zu-
schreibung einer hintergründigen Bedeutung der
beiden Selbstbildnisse und Warhols zu Lebzeiten
perfekt aufgehender Strategie ergibt, solche Deu-
tungsversuche seines Werkes systematisch zu un-
terlaufen und statt dessen immer wieder auf die
Oberfläche seiner Werke zu verweisen. Die Ver-
mutung liegt nahe, daß Warhol solche Wider-
sprüche zwischen der unmittelbaren Wirkmäch-
tigkeit seiner Bilder und der eigenen Betonung
von deren Inhaltsleere bewußt provozierte und
für die Selbststilisierung als Künstler nutzte. Zu-
mindest konnte ihn dies gegenüber der „fortuna
critica“ immunisieren.
Zunächst ist festzuhalten, daß der für die
Interpretation so bedeutende Effekt des durch- dringenden, stechenden Blicks einfach erklärbar
ist: Er kann auf die Verwendung eines Negativs
als Vorlage für den Siebdruck zurückgeführt
werden, was zu einer paradoxen Umkehrung
der Hell-Dunkel-Werte führt, so daß Warhols
Gesicht maskenartige Züge erhält. Auch die
stechenden, zusammengezogenen „Pupillen“ er-
weisen sich als Effekt der Verkehrung von klei-
nen hellen, durch das Blitzlicht hervorgerufenen
Glanzpunkten in dunkle Punkte. Neben den
Formaten ist die Verwendung des Negativs der
eklatanteste formale Unterschied zwischen den
hier diskutierten und den übrigen Selbstbild-
nissen aus Warhols letztem Lebensjahr, die den
Künstler alle mit einer Perücke, der sog. Fright-
Wig zeigen.5 Durch die Umkehrung entsteht je-
weils eine völlig unterschiedliche Wirkung. An-
ders als die Positivbilder evozieren die Gesichter
auf silbernem und goldenem Grund Schrecken,
ja können dem Gegenüber geradezu als Verkör-
perung des Schreckens begegnen. Das zerzauste
und markant abstehende Haar der Fright-Wig
unterstützt diesen Eindruck, insbesondere die
nach oben abstehenden Haarbüschel, an denen
der isolierte, vom Hals getrennte Kopf gleichsam
zu hängen scheint. Durch die sachte Neigung des
Kopfes nach vorne und zur rechten Seite wird
das Motiv des Hängens zusätzlich akzentuiert.
Diese leichte Neigung war es wohl, die mich zu-
sammen mit der Frontalität an die enthauptete
Medusa von Antonio Canovas Skulptur Perseus
erinnerte, deren Version von 1804–6 ich im New
Yorker Metropolitan Museum gesehen hatte.
BLICKWECHSEL I
5 Einige der von Warhol getragenen Perücken, die zu einem Markenzeichen des Künstlers wurden und in der Litera-
tur ohne weitere Erläuterung als Fright-Wig angesprochen werden, werden in der Warhol Foundation aufbewahrt.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur