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eIN pOP-KÜNSTLER ALS mEDUSA? 193
der bevorzugten Arbeitsinstrumente in Warhols
New Yorker Studio, das er Factory nannte und
das Produktionsstätte für Warhols immensen
künstlerischen Output war. Während man den
Photographen im 19. Jahrhundert ihren quasi
industriellen Herstellungsprozeß noch vorwarf
und ihre Werke deshalb als seelenlos bezeichnete,
bekannte sich Warhol zu mechanisierter Produk-
tion, zur Arbeitsteilung und zu seiner Rolle als
Business artist. Das Factory-Geschäft konnte zur
Not auch ganz ohne den Boss weiterlaufen, wie
sich 1968 nach Valerie Solanas Attentat während
Warhols Krankenhausaufenthalt herausstellte.
In seiner Schrift The Philosophy of Andy Warhol.
From A to B and Back Again, erschienen 1975,
verkündete Warhol: „I started as a commercial
artist, and I want to finish as a business art-
ist.“14 Die Verselbständigung der künstlerischen Produktion während Warhols Abwesenheit von
der Factory nach Valerie Solanas Anschlag sah er
als wichtige Station auf dem Weg zur Erfüllung
dieses Bestrebens. Warhols oft zitierter Wunsch,
eine Maschine zu sein,15 zielt ebenfalls in diese
Richtung, nämlich Kreation durch Produktion
zu ersetzen und das Künstlersubjekt – als den
traditionellen Ort individueller Kreativität und
künstlerischer Sinnstiftung – auszulöschen. Auch
dies scheint reibungslos in die Interpretation
von Warhols beiden späten Selbstbildnissen als
Medusa integrierbar zu sein, sofern man die as-
soziative Verknüpfung von Medusenhaupt und
Kamera herstellt. Allerdings spricht der Produk-
tionsprozeß seiner Siebdruckbilder, den man
als Arbeit an und mit Bildpotentialen verstehen
kann, dagegen, daß Warhol von Anfang geplant
habe, sich als Medusa zu zeigen.
ARBEIT AM BILD UND MIT BILDERN
Für Warhols Arbeitsweise spielte es keine grund-
legende Rolle, ob er auf eigenes oder vorgefun-
denes Bildmaterial zurückgriff. Selbst wenn er
das Bildmaterial für seine Werke selbst erstellte,
hielt er sich vollkommen aus dem unmittelbaren
Aufnahmeprozeß heraus, den er seinen Assisten-
ten überließ.16 Somit ist ungewiß, ob Warhol von
Anfang an das Motiv der Medusa im Sinn hatte;
wahrscheinlicher ist, daß er sich im Nachhinein
für die spezifischen Qualitäten eines bestimmten
Photos aus der Serie der Fright-Wig-Polaroids
interessierte und sich auf Grund des Wirkungs-
potentials für die Verwendung dieses Motivs für die Siebdrucke der Selbstbildnisserie entschied.
Auf die Frage Gerard Malangas, wie zufällig die
Auswahl von Motiven für seine Gemälde sei,
antwortete Warhol irritiert: „Ich greife Motive
nicht zufällig heraus, sondern wähle sie sorgfältig
durch Eliminierung aus“.17
Warhols Bildsprache zeichnet sich durch
die Offenlegung der von ihm genutzten künst-
lerischen Verfahren der Bildbearbeitung aus.
So veränderte die Vergrößerung der Motive im
Siebdruck deren Charakter. Sie wirken flächiger
und grober und da die Vergrößerung des Motivs
– anders als bei einem Blick durch ein Mikros-
theoretisches Dispositiv, Amsterdam/Dresden 1998 S. 145–154. Dem Mythos der Medusa in der Diskursgeschichte
der Photographie geht auch Stefanie Diekmann nach: S. Diekmann, Mythologien der Fotografie. Abriß zur Dis-
kursgeschichte eines Mediums, München 2003.
14 A. Warhol, The Philosophy of Andy Warhol. From A to B and Back Again, New York 1975, S. 92.
15 Vgl. G. R. Swensons Interview mit Warhol „Was ist Pop Art? Antworten von acht Malern, Teil 1“, in: K. Gold-
smith (Hrsg.), Interviews mit Andy Warhol, Freiburg 2005, S. 38–43, bes. S. 38 f.
16 Vgl. hierzu C. Heinrich (Hrsg.), Andy Warhol – Photography, Ausstellungskatalog, Hamburg, Kunsthalle,
13.05.1999–22.08.1999, Pittsburgh (PA), Andy Warhol Museum Pittsburgh, 06.11.1999–15.02.2000, Hamburg 1999.
17 Ein Gespräch mit Andy Warhol 1971, in: Goldsmith, Interviews (zit. Anm. 15), S. 206.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur