Page - 197 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Volume LIX
Image of the Page - 197 -
Text of the Page - 197 -
eIN pOP-KÜNSTLER ALS mEDUSA? 197
in der Ikonographie der Darstellung Christi ein
Negativ eine wichtige Rolle – zeigt sich im Tu-
riner Grabtuch doch der Abdruck des Leibes
Christi in negativer Umkehr. Doch scheint mir,
wie schon gesagt, die Analogie zur Christusikone
weder die erschreckende Wirkung, die von den
beiden Selbstbildnissen ausgeht, zu treffen, noch
die sich mit ihnen verbindende Rezeptionspro-
blematik zu erfassen. Sie verfehlt diese, da die im
Rahmen von Warhols Oeuvre durchaus sinnvolle
Deutung als Vera Ikon die beiden Selbstporträts
auf glänzendem silbernen und goldenen Grund aus dem Reigen der Selbstbildnisse Warhols als
besonders bedeutungsvoll hervorhebt, indem sie
sie an die Thematik der Pop-Ikone der 1960er
Jahre anbindet. Durch die Rückbindung an die-
jenigen Werke aus dem umfangreichen Oeuvre
Warhols, mit denen der Künstler seinen inter-
nationalen Durchbruch erzielt hatte und die für
den Künstler „Warhol“ schlechthin stehen, kann
die Deutung der Selbstbildnisse als Vera Ikon die
Frage der Position des Betrachters vor dem Bild
und seine affektive Wirkung ausblenden.
IM NETZ DER TAUTOLOGIEN: ZUM DILEMMA DER
INTERPRETATION VOR ANDY WARHOLS WERKEN
Warhol machte mit seinen Selbstinszenierungen
in der Factory, auf Ausstellungseröffnungen, im
TV und mit der provokanten Verwandlung der
Kunstszene in eine endlose Reihe von Celebrity-
Events deutlich, daß der traditionelle ästhetische
Wert des Kunstwerks in der Konsumgesellschaft
obsolet geworden und das Werk, im Taumel je-
ner „reinen Ereignisse“, die vom „Betriebssystem
Kunst“ inszeniert wurden, durchaus verzicht-
bar war. Man denke in diesem Zusammenhang
nur an die Eröffnung von Warhols erster Muse-
umsausstellung im Institute of Contemporary
Art im Pasadena Art Museum der University of
Pennsylvania in Philadelphia von 1965, zu der
über 4000 Gäste erwartet wurden, weshalb am
Vortag der Eröffnung alle Bilder abgehängt wer-
den mußten.25 Wie Warhol im Nachtclub Area
1985 demonstrierte, wo er einige Zeit vor dem Label „Invisible Sculpture, 1985. Mixed Media“
auf einem Sockel stand, um dann wieder fortzu-
gehen, ging mit dem Verschwinden des Werkes
zugleich der Verlust des Autors einher. Aber auch
die nicht ephemeren Arbeiten des Künstlers füh-
ren die mit der Reproduzierbarkeit, unendlichen
Wiederholbarkeit und Standardisierung der Bil-
der einhergehende Kommodifizierung der Kunst
in der postindustriellen Konsumgesellschaft
vor Augen. Nach Jean Baudrillard, der seinen
Nachruf auf Andy Warhol in der dem Künstler
gewidmeten Sondernummer von Artstudio vom
Frühjahr 1988 unter den Titel „Von der abso-
luten Ware“ gestellt hat, geschah dies nicht in
melancholischer Negation, sondern indem die
Entfremdung der Kunst als Ware mittels Abso-
lutsetzung eben dieses Warencharakters überbo-
ten wurde.26 Mit den Dollar-Bills-Bildern, etwa
gezeigt und für die überbordende Bildproduktion des Motivs des fiktiven Christusporträts verantwortlich gemacht.
C. Kruse, Vera Icon – oder die Leerstellen des Bildes, in: H. Belting/D. Kamper/M. Schulz (Hrsg.), Quel corps?:
eine Frage der Repräsentation, München 2002, S. 105–129. Geradezu in Umkehrung zu sozialkritischen Deutungen
von Warhols Werk, denen dessen Spätwerk verdächtig war, versuchen die Autoren einer Publikation zu Warhols Wer-
ken mit religiöser Thematik seine Rückkehr zu bedeutungsschweren Themen nach dem Anschlag auf den Künstler
Ende der 1960er Jahre nachzuweisen, s. J. Daggett Dillenberger, The religious art of Andy Warhol, New York 2001.
25 M. Francis, Horror Vacui: Andy Warhols Installationen, in: ders. (Hrsg.), Andy Warhol. The Late Work, Aus-
stellungskatalog, Düsseldorf, Museum Kunst Palast, 14.02.2004–31.05.2004, Vaduz, Kunstmuseum Liechtenstein,
13.06.2004–12.09.2004, u.a.], München 2004, S. 14 f.
26 Der in französischer Sprache in Artstudio, Bd. 8, 1988, S. 6–12 erschienene Text wurde in deutscher Übersetzung
wiederabgedruckt in: Schwander, Andy Warhol Paintings (zit. Anm. 20), S. 15–18.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur