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eIN pOP-KÜNSTLER ALS mEDUSA? 201
Schon 1979 postulierte Warhol mit den gro-
ßen, Retrospective Paintings betitelten Arbeiten
eine Wende: Der Blick wird zurück auf das eige-
ne Werk gerichtet. Hiermit einher geht eine in-
tensive Beschäftigung mit Fragen der Rezeption.
Während Andy Warhol in den frühen Arbeiten
der 1960er Jahre die technische Reproduzier-
barkeit und die massenmediale Verbreitung in
ihren Auswirkungen auf die Bildlichkeit unter-
suchte, wechselt der Fokus vom Verhältnis zwi-
schen Dargestelltem und seiner Repräsentation
auf das Verhältnis zwischen Repräsentation und
Betrachter. Damit soll nicht ein genereller Unter-
schied zwischen Früh- und Spätwerk behauptet,
sondern auf eine graduelle Zuspitzung der spe-
zifischen Rezeptionsfragen hingewiesen werden,
welche durch den Verlust eines unmittelbaren
Referenten schon von Warhols frühen Pop-Iko-
nen aufgeworfen wurden.
Die Camouflage-Serie von 1986 führt bei-
spielsweise vor Augen, daß Bezeichnetes und
Bezeichnendes, Dargestelltes und Darstellendes
die Stelle wechseln und sich ineinander verkeh-
ren können. So wird aus einer Darstellungsweise,
dem von Warhol sogenannten abstrakten Look
des Tarnmusters, nun ein scheinbar festumris-
senes „Sujet“ des Bildes. Dies stellt eine parado-
xe Umkehrung des Inhalt-Form-Verhältnisses
dar. Hat Warhol in den frühen seriellen Arbei-
ten und vor allem in den Bild-Tapeten gezeigt,
daß jeder Inhalt den Status einer bloßen Form
erlangen und zu einem ornamentalen Muster
werden kann, wird hier aus dem Muster der In-
halt. Wenn aber Bezeichnendes und Bezeichnetes
sozusagen die Stelle wechseln können, wird die
Interpretation zirkulär. Dies liegt daran, daß es
in Warhols Bilderkosmos keinen den Kosmos der Bilder transzendierenden und damit eindeutige
Hierarchien festlegenden Referenten mehr gibt.
Auf Bilder folgen sozusagen immer nur noch
mehr Bilder, die, läßt man sich nicht auf die ver-
wirrenden Paradoxien der Werke ein, nur noch
als Reize fungieren und einander in einem bun-
ten Reigen ablösen. Dies wird gerade auch bei
den unzähligen Selbstbildnissen Warhols deut-
lich.
Doch das Flackern und Zucken der Bilder-
flut, das mit dem Fehlen eines unmittelbaren
physischen Referenten zusammenhängt, hat
Warhol auch zu einem eigenen Thema gemacht:
Im Bilderzyklus Shadows von 1978/9 kann der
Betrachter von der als „Schatten“ bezeichneten
abstrakten Form nicht mehr auf den Gegenstand
zurückschließen.37 Statt dessen sah er sich in
der ersten Installation der Arbeit in der Galerie
Heiner Friedrich von einem „Bild in 83 Teilen“
umzingelt, von der Warhol lapidar als „Disco-
Dekor“ sprach, welcher an den in Diskotheken
eingesetzten Stroboskop-Effekt erinnert.38 Bei
diesem Effekt verwischen durch die entstehen-
den subjektiven Nachbilder die Grenzen zwi-
schen Innen und Außen visueller Erfahrung, was
beim Tanzenden zu Orientierungslosigkeit und
Trance führen kann. Die Frage der Interpretation
wird in besonderer Weise virulent, weil der sich
in der Installation bewegende Rezipient mit sei-
ner labilen Position vor den Bildern konfrontiert
wird.
Doch der Betrachter wird vor den Werken
Warhols nicht nur im räumlichen, sondern auch
im imaginären Sinne positioniert, da er bei der
Verweigerung einer eindeutigen Referenz des Bil-
des auf sich selbst zurückgeworfen wird. Mit den
großformatigen Bildern der Rorschach-Serie von
tiellen Ikonografie“ verkörpern, nicht interpretativ mit den Arbeiten, die sich in obsessiver Weise mit dem Tod
beschäftigen, zu versöhnen, da sie einen intentionalen Autor und ein hermeneutisches Konzept der Bedeutung
voraussetzen. S. hierzu Krauss, Körperliches Wissen (zit. Anm. 31), S. 105 f.
37 Die rein indexikalische Beziehung des Schattens zu seinem ihn hervorrufenden Gegenstand beruht nicht notwendig
auch zugleich auf Ähnlichkeit.
38 So in der ersten Installation der Shadows in der Galerie von Heiner Friedrich in New York 1979, vgl. Francis, Andy
Warhol (zit. Anm. 25), S. 19 f.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur