Page - 219 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Volume LIX
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Im Archiv der Ungarischen Nationalgalerie in
Budapest befinden sich die Briefe des Kunst-
historikers Johannes Wilde (1891–1970)1 an seine
in Budapest lebende Mutter Rosalia und an seine
Geschwister Margit und Ferenc Wilde.2 Johannes
übersiedelte, wie wir dem Briefwechsel ent-
nehmen können, im Sommer 1920 nach Wien.
Dazu sah er sich gezwungen, nachdem ihm seine
Teilnahme an der ungarischen Räterepublik im
Frühjahr und Sommer 1919 nach deren Nieder-
schlagung vorgehalten wurde. Eine gerichtliche
Verfolgung mußte er zwar nicht fürchten (er
wurde bald entlastet), aber sehr wohl Schwierig-
keiten, mit seiner politischen Vergangenheit in
Ungarn eine wissenschaftliche Karriere machen
zu können. Wilde kam nach Wien zurück, wo er
schon ab dem Herbst 1915 studiert und 1918 zum
Thema Die Anfänge der italienischen Radierung
promoviert hatte. Ab 1923 arbeitete er im Kunst-
historischen Museum. 1939 flüchtete er nach
England, wo er bis zu seinem Tod 1970 blieb.
Der Briefwechsel Wildes mit seinen Ge-
schwistern ist beinahe vollständig erhalten. Er wurde von beiden Seiten mit sehr großer Regel-
mäßigkeit geführt. Wöchentlich wurde mehrmals
geschrieben, auf die Fragen der anderen wurde
detailliert eingegangen, und es wurde versucht,
ein umfassendes Bild der eigenen Situation zu lie-
fern. Insofern kann man sie als eine verläßliche
Quelle ansehen, die die damalige Situation auch
für Außenstehende wiedergibt.
Die folgende Auswahl an Briefen, die Wilde
während der ersten Monate seines Wien-Aufent-
haltes schrieb, umfaßt eine Periode des Suchens.
Sie beginnt mit der Hoffnung, daß er sich mit
Hilfe von Max Dvořák in Wien als Kunsthisto-
riker etablieren kann, und endet mit dem frühen
Tod seines Professors. Da die Briefe Wildes wis-
senschaftlicher Karriere besondere Aufmerksam-
keit widmen – dies scheint unter den Geschwi-
stern eines der wichtigsten Gesprächsthemen
gewesen zu sein –, ermöglichen sie unmittelba-
re und authentische Einblicke in die Ereignis-
se innerhalb der Kreise der damaligen Wiener
Kunstgeschichte und ergänzen so die bisherigen
Erkenntnisse zur Geschichte der Wiener Schule3.
BRIEFE VON JOHANNES WILDE AUS WIEN,
JUNI 1920 BIS FEBRUAR 1921
(übersetzt und herausgegeben von Károly Kókai)
1 Vgl. M. Hirst, Johannes Wilde Obituary, in: Burlington Magazine, 113, 1971, S. 155–157; J. Sherman, Johannes
Wilde (1891–1970), in: H. Filitz/M. Pippal (Hrsg.), Wien und die Entwicklung der kunsthistorischen Methode.
Akten des XXV. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte 1983, Bd. 1, Wien 1984.
2 Die 1924 geschriebenen Briefe scheinen in Budapest verschwunden zu sein. Die Briefe, die Wilde aus Budapest er-
halten hat, befinden sich im Archiv des University College London. Die Briefe wurden für den vorliegenden Artikel
vom Herausgeber transkribiert. In eckigen Klammern stehen die Ergänzungen des Herausgebers. In den Fußnoten
werden, so weit wie möglich, die Genannten identifiziert und die verwendeten Abkürzungen aufgelöst. Dank an
Lívia Orbán und Judit Boros für die Betreuung im Archiv der Ungarischen Nationalgalerie in Budapest, an Hans
Aurenhammer in Frankfurt für Hinweise den wissenschaftlichen Hintergrund der erwähnten Wiener Kunsthistori-
ker betreffend und an Maria Theisen in Wien für Ergänzungs- und Verbesserungsvorschläge.
3 Zur Geschichte der Wiener Schule gibt es eine sehr große und ständig wachsende Literatur. Vgl. zusammendfassend
Filitz/Pippal, Wien (zit. Anm. 1), sowie Wiener Schule. Erinnerungen und Perspektiven (= Wiener Jahrbuch für
Kunstgeschichte, 53, 2004).
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur