Page - 256 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Volume LIX
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Intellektueller heute noch Marxist aus Ueber-
zeugung (nicht aus taktischen Gründen, wie ich
viele kenne) sein kann. Oder genauer: wie ein
solcher sich mit jenen Teilen der marxistischen
Doktrin abfindet, die sich ganz offensichtlich in
der Empirie nicht bewährt haben (keine Kum-
mulierung des Kapitals in der Landwirtschaft)
und welche Konsequenzen er zieht. (Rückkehr
zu einem utopischen Kommunismus oder Kor-
rektur des wissenschaftlichen Marxismus an
der Stelle wo er falsch war?) und in welchem
Sinn?). Es scheint mir dass auch bei der Beant-
wortung dieser Fragen ein Typus einer Haltung
(oder mehrere) sich zeigen würden, der in der
gegenwärtigen Lage eine nicht geringe Bedeu-
tung besitzt.
Halten Sie es für sinnvoll und möglich eine
solche Diskussion (die letzten Endes durch Sie
provoziert worden ist) affektfrei zu führen oder
nicht? Ich erwarte Ihre offene Antwort.
Aufrichtig
Hans Sedlmayr
P.S. Vielleicht ist mein Irrtum, dass ich Sie für
einen Marxisten halte: Sie haben sich ja nur als
Kommunist erklärt.
P.P.S. Ihr Irrtum ist hauptsächlich, dass Sie
zwei wesentlich verschiedene Dinge ‘Faschismus’ nennen: den Anti-Antikapitalismus – der wie
sie richtig sagen – selbst Kapitalismus ist. Und
eine Haltung für die Kapitalismus und Marxis-
mus (und auch jener erste Faschismus) als These
und Antithese auf einer Ebene liegen und die
beide ablehnt. In diesem Sinn wäre ich aller-
dings Faschist.
By 1934, the discussion focused on Sedlmayr’s
recitation of the cornerstones of a historical Aus-
trian anti-Semitism and anti-Communism that
were taken up in National Socialism: a view of
the Jews as a rootless people, who were, by and
large, not landowners, and whose dominance in
banking led many anti-Semites to argue that they
had a hold on entire economies.57 Sedlmayr’s
sympathy with the landowner and nostalgia for
the peasant (over the city worker) concurs with
the tone of his wartime journal, a nostalgic mem-
oir of early childhood on the land that has strong
resonance with his mature political views.58
It is not to be excluded that Sedlmayr, who al-
ways seemed short on money in these letters,
looked on with envy even at the lives of his well-
heeled Jewish friends.59 Sedlmayr is pained that
Schapiro judges him for his anti-Semitism; he
does not understand why this widely-held posi-
tion cannot be considered a moral one. Sedlmayr
insists that his anti-Semitism is political rather
57 See especially Pauley, From Prejudice to Persecution (cit. n. 48).
58 H. Sedlmayr, Das goldene Zeitalter. Eine Kindheit, Munich 1986. Norbert Schneider noted Diese sorgenfreien Kind-
heitsidyllen machen es begreichflich (freilich nicht immer entschuldbar), dass Sedlmayr zeitlebens ein Anwalt der tempi
passati war, der den durch die gesellschaftliche Moderne, das ökonomische System der bürgerlichen Sozietät, herbeigeführ-
ten Untergang des ‘Reichs’ nicht begriff und diesen ‘Verlust der Mitte’ der kulturellen Moderne anlastete. Schneider,
Hans Sedlmayr (cit. n. 2), p. 267.
59 One has the sense from these letters that Sedlmayr was always short on money, perhaps a decline in the family’s
fortune (he tells Schapiro who must have written to him about the effects of the great depression in 1931 that their
circumstances were unchanged since 1922, or rather, since 1914), that he was part of a generation that could not
maintain the life on the manor of his forebears. Ob ich dazwischen in den Sommer die schon dringend notwendige Reise
nach Frankreich (hauptsächlich Paris und Loire) legen kann, steht aus Geldgründen noch immer nicht fest. Sedlmayr to
Schapiro, 2 May 1931. Leider– ich bedauere es sehr – muß ich aus Geldmangel (zum Teil aber auch durch eine Drehung
meiner Hauptarbeitsrichtung) den Gedanken einer französischer Reise aufgeben. Sedlmayr to Schapiro, 12 July 1931.
Ich wollte im Mai nach Griechenland, weiss aber noch nicht, ob ich genug Geld haben werde – zumal ich übersiedle.
Sedlmayr to Schapiro, 30 March 1933. Pächt and Bruno Fürst, for example, came from wealthy Jewish families,
well-off enough to contribute to the support of Robert Musil and to accompany him to Paris on the occasion of a
conference of anti-fascist writers. See Corino, Pächt und Musil (cit. n. 30).
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Volume LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Volume
- LIX
- Editor
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German, English
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Size
- 19.0 x 26.2 cm
- Pages
- 280
- Keywords
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Category
- Kunst und Kultur