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Biografische Fallstudie „Johann“ 129
Johanns Schilderungen lassen starke charakterliche Ähnlichkeiten zwi-
schen Vater und Sohn erahnen: Beide werden als aufbrausend-jähzornig, aber
nicht nachtragend dargestellt, beide scheinen es nicht zu schaffen, aufeinan-
der zuzugehen bzw. nachzugeben, beide wenden auch körperliche Gewalt an.
Zugleich sind sie grundsätzlich nicht in einer symmetrischen Beziehung: Der
Vater fordert die Anerkennung der Rollendifferenz immer wieder ein, ohne
zugleich dem Sohn in einer positiv fördernden, wertschätzenden Vaterrolle
zu begegnen. Der Sohn stellte und stellt die väterliche Autorität wiederholt in
Frage und lehnt den autoritär-strafenden Vater ab bzw. erwidert dessen Ge-
walt mit Gegengewalt, wie nachfolgende Erzählung plastisch vor Augen
führt:
B: „(…) weil er und i ham ständig an Kampf g'habt.“
I: „Worum is'n da gangen? Warum habt's da zum Raufen ang'fangen?“
B: „(lacht) wegen dem Kotflügel vom, vom Foahrradl. Weil i- weil i's ned oben g'habt
hab und des Licht ned drauf montiert g'habt hab. Hat er g'mant: ‚I hab's da scho so oft
g'sagt!‘ U n d hab i hoit zum Schreien ang'fangen: ‚Was? Kann da wurscht sei!‘ Auf
amoi krieg i a Fotzen (Ohrfeige, Anm. d. Verf.). Na ja, im Reflex hab i eam a Feicherl
(blaues Auge, Anm. d. Verf.) g'haut, was si halt dann im Nachhinein ergeben hat
(lacht), und ja oba, wie i eam hoit des Feicherl geben hab, hat er mir a Fotzen andraht,
dass‘ mi zwa Meter retour wandelt und bin mit'm Schädel gegen die Türschnall‘n
g'flogen vom Schlafzimmer. Aufg'standen, g'sehen, ha ha, und hab ma am Balkon eine
ang'raucht mit 13 (Jahren, Anm. d. Verf.). Hab i dann- i glaub zwa Monat oder was
hätt er mir Hausarrest erteilen wollen.“ (NI1: S. 12/Z23ff.)
Trotz aller Konfliktverhaftung und gegenseitiger Nicht-Akzeptanz scheinen
sich beide allerdings wechselseitig wichtig zu sein: Beide Seiten geraten den
Darstellungen Johanns zufolge über die Nichtakzeptanz des anderen laufend
in Rage. Es lässt sich eine starke wechselseitige Bindung erahnen, die aller-
dings überwiegend durch Gewalt, Streit und vergebliches Einfordern der
Akzeptanz des anderen geprägt ist. Es verbindet sie viel, zugleich finden sie
nicht positiv zueinander.
Den Auseinandersetzungen mit dem Vater und der Suche nach dessen
Akzeptanz und Respekt wird retrospektiv eine sehr prägende Bedeutung bei
der eigenen Identitätsfindung gegeben: Einerseits werden viele charakterliche
Ähnlichkeiten wahrgenommen, andererseits beruht die Selbstdefinition von
Johann ganz wesentlich auf dem Widerstand, den er dem Vater gegenüber
geleistet hat – und auch darauf, selbst nicht nur Opfer zu sein. Die erzählte
konflikthafte Beziehung zum Vater lässt einen relativ hohen Reflexionsgrad
erkennen, Johann scheint sich eingehend damit auseinandergesetzt zu haben,
er stellt auch einen eigenen Beitrag zu den Auseinandersetzungen nicht in
Abrede, sondern benennt diesen manchmal recht schonungslos. Auch darin
kommt zum Ausdruck, dass er sich selbst nicht einseitig eine Opferrolle zu-
weist.
Die Schulzeit wird im Interview nur sehr kurz nebenbei erwähnt, obwohl
sie üblicherweise einen prägenden institutionellen Rahmen für das Aufwach-
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Wirkungsevaluation mobiler Jugendarbeit
Methodische Zugänge und empirische Ergebnisse
- Title
- Wirkungsevaluation mobiler Jugendarbeit
- Subtitle
- Methodische Zugänge und empirische Ergebnisse
- Author
- Hemma Mayrhofer
- Publisher
- Verlag Barbara Budrich
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-8474-1130-7
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 378
- Keywords
- Society & social sciences, Social services & welfare, criminology, Social welfare & social services, Social work
- Category
- Geisteswissenschaften