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102 | Theoretische Voraussetzungen
formale Ebene, die nonverbale und paralinguistische Faktoren ausblendete und
Sprache aus dem Kontext sprachlichen Handelns herausgelöst betrachtete. Als
zentraler Bezugspunkt fĂŒr Vertreter der Funktionalen Pragmatik (vgl. v.a. Ehlich
1991; 1998; 2000; Rehbein 1988; Redder 1990; 2004; GrieĂhaber 2001; Hoffmann
2003; Rehbein/Kameyama 2006) ist denn auch die Sprechakttheorie (v.a. in der
AusprĂ€gung bei Austin (1962) und spĂ€ter Searle (1969)) zu nennen. BegrĂŒndet
von Konrad Ehlich und Jochen Rehbein geht die FP davon aus, dass sprachliche
AusdrĂŒcke Ressourcen im Rahmen sprachlichen Handelns darstellen. Sprache
wird als âSprache âin discursuââ angesehen: âSprache als Ressource fĂŒr das
sprachliche Handeln besagt, dass Sprache eine Menge von Strukturen ist, die in
unserer Kommunikation, fĂŒr unsere Kommunikation und durch unsere Kom-
munikation entstehen, erhalten und genutzt werden" (Ehlich 2006: 18). Die
Orientierung an pragmalinguistischen Konzepten, und hier v.a. an der Sprech-
akttheorie, grĂŒndet u.a. in der Kritik an der schriftbasierten Kategorie Satz und
der auch innerhalb der schriftbasierten Grammatik bestehenden definitorischen
Unsicherheit hinsichtlich des Satzbegriffs (vgl. Ehlich 1998: 51).146 Das Haupt-
problem sieht Ehlich dabei in der (impliziten oder expliziten) Ăbernahme der
Aristotelischen Auffassung von Satz als
âlogosâ im Sinne der âprotasisâ, der Aussage, der Assertion. Von allen anderen âSĂ€tzenâ
sieht er [Anm. ML: Aristoteles] ab. Dieses Absehen hat 2300 Jahre Linguistikgeschichte
wesentlich determiniert. (Ehlich 1998: 59)
Als Folge dieser Koppelung von Satz mit Proposition und wiederum mit Subjekt
und PrĂ€dikat ging Ehlich zufolge eine âEntfunktionalisierungâ (Ehlich 1998: 60)
einher, indem der Zweck einer ĂuĂerung gegenĂŒber dem Wahr-Falschheits-
Kriterium der Logik ins Hintertreffen geriet.
Erst mit dem Perspektivenwechsel auf Sprache als Handeln im Rahmen der
Pragmatik wurde dieser entfunktionalisierte Satzbegriff gelockert.147 WĂ€hrend
||
146 Ehlich (1998) konstatiert Ende der 1990er-Jahre ein Abebben der theoretischen Auseinan-
dersetzung mit der Kategorie Satz, nachdem ĂŒber Jahrzehnte hinweg eine vehemente Diskussi-
on rund um den Satzbegriff gefĂŒhrt wurde, wie an Riesâ (1931) und Seidels (1935) Sammlung
von insgesamt ĂŒber 220 verschiedenen Satzdefinitionen erkennbar ist. Dieses abnehmende
Interesse an der Definition von Satz als Grundkategorie der Linguistik sieht Ehlich in einer
gewissen Resignation begrĂŒndet: â[S]elbst dort, wo Linguistik sich wieder explizit als Satzlin-
guistik versteht, unterbleibt die Bestimmung der Grundkategorie âSatzâ. Genauer: Man verlĂ€Ăt
sich auf das, was man immer schon zu wissen meintâ (Ehlich 1998: 52).
147 Die Abkehr vom Wahr-Falschheits-Kriterium zur Beurteilung von SĂ€tzen und die Hinwen-
dung zum Handlungscharakter von Sprache wird auf sprachphilosophischer bzw. -
psychologischer Seite v.a. bei Humboldt (in seiner dynamischen Sprachauffassung â Sprache
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Jugendkommunikation und Dialekt
Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Title
- Jugendkommunikation und Dialekt
- Subtitle
- Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Author
- Melanie Lenzhofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-050330-2
- Size
- 14.8 x 22.0 cm
- Pages
- 502
- Category
- Geographie, Land und Leute